10:38

Liebe wächst auf den Trümmern der Feindschaft
Predigt zu Lk 6,27–28

200 Drittletzter Sonntag, 9. November 2025, Frankfurt

Das Leben des Paradieses fließt uns aus der Zukunft entgegen und entfaltet Wirkung hier und jetzt. Kann man deshalb seine Feinde hassen? Jesus’ ist der einzige, der uns sagen darf, dass wir das sollen. Doch er sagt uns noch etwas anderes: „Das Himmelreich ist mitten unter euch“.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
sind zwei Verse aus der Feldrede bei Lukas im 6. Kapitel.
Christus spricht:

Aber ich sage euch,
die ihr zuhört:
Liebt eure Feinde;
tut wohl denen, die euch hassen;
segnet, die euch verfluchen;
bittet für die, die euch beleidigen.

Lasst uns beten:
Herr Jesus Christus,
du bist mitten unter uns gegenwärtig.
Öffne unsere Herzen für deine Anwesenheit
und unsere Ohren für dein Wort.
Rede zu uns durch die Predigt,
damit das Wort unsere Leben durchdringt.
— Amen

Lieber Mads,
liebe Familie Wohlfahrt,
liebe Gemeinde,

(A) kann man seine Feinde lieben?
In einer Gruppe von Pastoren
freut sich einer über den Sieg der Bayern in Paris.
Darauf fiel es anderen sichtbar schwer,
den Amtsbruder weiterhin zu lieben.

Ich persönlich
komme immer wieder an die Grenzen meiner Liebes-Fähigkeit,
wenn ich mit meinen Gegnern im Straßenverkehr
konfrontiert bin.

Aber abgesehen von solchen Belanglosigkeiten,
gibt es viele Menschen auf der Welt,
die Leid erfahren
durch die Hand anderer,
Flüche,
Demütigungen, –
den Tod.

Wir können uns als Menschen nicht hinstellen,
und ihnen sagen:

Nimm dir mal an Jesus ein Beispiel!
Der hat für seine Mörder gebetet am Kreuz.
Und schau auf Stephanus:
Da kannst du sehen,
dass das geht!
2

B) Das, was Jesus uns hier sagt,

Liebt eure Feinde!

das sagt er uns im Licht des Himmelreiches.

Das Himmelreich ist (nahe) herbeigekommen.

lehrt Jesus.
Das heißt:
Es ist hier!

In Jesus ist das kommende Himmelreich angebrochen.
Am Ende der Zeit
wird Gott universale Gerechtigkeit aufrichten.

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein,
noch Leid
noch Geschrei
noch Schmerz wird mehr sein.
3

Diese Zukunft wirkt in die Gegenwart hinein,
quasi rückwärts durch die Zeit.
Dieser Frieden wird alle Kreaturen erfassen:

Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen
und die Panther bei den Böcken lagern.
Ein kleiner Knabe wird Kälber
und junge Löwen
und Mastvieh miteinander treiben.
Kühe und Bären werden zusammen weiden,
dass ihre Jungen beieinander liegen,
und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.
Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter,
und ein entwöhntes Kind
wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.
Man wird nirgends Sünde tun
noch freveln
auf meinem ganzen heiligen Berg;
denn das Land wird voll Erkenntnis des
Herrn sein,
wie Wasser das Meer bedeckt.
4

Wer in Christus lebt,
lebt in diesem Frieden.
Wer in Christus getauft ist,
ist in diesen Frieden getauft.

⊙) Feindesliebe in einer Zweierbeziehung „Feind–ich“
ist ein todbringendes Gesetz.
5
Hier wird von uns gefordert,
unser Leben zu missachten.
Feinde sind nämlich die,
die einem Leben nehmen,
indem sie Leid über uns bringen.

Nur im Dreieck mit Jesus macht dieses Gebot überhaupt Sinn.
Das darf kein Mensch von uns fordern,
als nur der Mensch,
der auch Gott ist,
und am Kreuz alles Leid auf sich genommen hat.

Er ist das wahre Lamm Gottes,
das die Sünden der Welt hinweggenommen,
unseren Tod durch sein Leben zerstört
und durch seine Auferstehung
das Leben wieder gebracht hat.
6

Jesus missachtet nicht das Leben,
sondern er schenkt es.

Mit Blick auf dieses Dreieck,
Jesus – ich – und der Feind,
muss ich mich mir immer sagen:

Denk daran,
dass du in diesem Dreieck
Jesus zwei mal gegenüber stehst.
Jesus hat am Kreuz auch für dich gebetet,
denn als Sünder bist du Jesus’ Feind.
Er hängt da wegen dir.

Wenn ich in dieser Perspektive auf meinen Feind schaue,
dann sind die Unterschiede gar nicht mehr so groß.
Jesus hat die Mauern eingerissen
zwischen mir und meinem Feind.
Wo Jesus das tut,
kann Liebe wachsen.
Sie wächst nicht durch Werke und Pflicht,
sondern Jesus macht aus den Trümmern des Hasses
fruchtbares Land.
Die Arbeit ergibt sich dann von ganz alleine,
aber das Leben für die Arbeit und für das Wachstum,
die fließt uns aus dem Himmelreich entgegen:

Und aus seiner Mitte entspringt ein Fluss
und teilte sich von da in vier Hauptarme.

Pischon, Gihon, Euphrat und Tigris:7
Das sind die Paradies-Flüsse,
durch die dieses Leben alle Himmelsrichtungen erreicht.
Das Paradies durchtränkt unser Leben hier-und-jetzt.

B') Wenn man das erahnt und glaubt,
dann ist die Frage der Pharisäer vollkommen berechtigt:

Jesus, wo ist denn das Himmelreich?

Jesus antwortet:

Siehe, das Himmelreich ist mitten unter euch.8

Das heißt:

Das Reich Gottes
ist in dem Raum,
der der eure ist.
9

Manchmal erkläre ich Abendmahl so:

Wenn Jesus sagt:
„Dies ist mein Leib“,
dann meint er:
Der Raum,
den diese Hostie einnimmt in der Welt,
den nehme ich jetzt ein –
für dich.
Das kleine Gewicht,
das dieses Brot auf die Wage bringt,
das nehme ich jetzt ein.
So ist dieses Essen
Nahrung aus dem Himmelreich – 
und es stärkt und bewahrt dich
im Glauben
zum ewigen Leben.

In und unter einem Christenmenschen
ist das Himmelreich real gegenwärtig.
Diese Wirklichkeit umfängt und durchdringt dein Leben.

A')

Stephanus aber, voll heiligen Geistes,
sah auf zum Himmel
und sah die Herrlichkeit Gottes
und Jesus stehen zur Rechten Gottes
und sprach:
Siehe, ich sehe den Himmel offen
und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.

Auf dieses Zeugnis hin,
steinigen sie ihn.
Und mit seinem letzten Atemzug betet er:

Herr, rechne ihnen ihre Sünden nicht an.

Das ist keine Beispielgeschichte,
die einen Anspruch an dich erhebt:
Handle genau so.
Vielmehr ist das eine Wundergeschichte,
die dir zuspricht:
- Es ist Wirklichkeit: Der Himmel steht dir offen.
- Du bist von guten Mächten wunderbar umgeben.
- „Denn der Herr hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen“.
10

Christus spricht:

Siehe, das Himmelreich ist mitten unter euch.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!11 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Die Epistellesung aus ELKG² 83 (Apg 6.7 in Auszüge, insb ohne []) ist für diesen Gottesdienst vorgesehen. Einigen Frankfurtern ist Stephanus’ Geschichte aber gut vertraut, denn die Trinitatisgemeinde hat die Stephanus-Gemeinde aufgenommen.


3 Offb 21,4


4 Jes 11,6–9


5 Dieser Mittelteil folgt Gedanken von François Bovon, EKK III/1, Neukirchen-Vly 2019, S. 320ff.


6 Agende I, S. 88, Präfation zum Osterfest


7 Nach Gen 2,10–14.


8 Lk 17,21; aus dem Evangelium des heutigen Propriums.


9 Bovons Übersetzung von ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν gefällt mir besonders gut. Ich teile seine Einschätzung: „Es ist sehr schwierig, sich hierzu eine Meinung zu bilden“. Als Abschluss seiner Auslegung der Perikope Lk 17,20f (EKK III/1, S. 168) diskutiert er ausführlich, wie er zu diesem Ergebnis gelangt ist, und verweist auf einschlägige Literatur. Auf weitere hilfreiche, wenn auch ältere Aufsätze verweist der Artikel ἐντὸς in: Bauer, Aland: „Wörterbuch zum Neuen Testament“, 6. Auflage.


10 Ps 92,11 Das ist der der Taufspruch für den kleinen Jungen heute,


11 Phil 4,7


Manuskript pdf, 246 KB)

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1.Thess 5,1–9, Drittletzter Sonntag

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