16:04

Glaube ist Freiheit und Freude
Predigt zu Apg 16,16–34

187 Kantate, 18. Mai 2025, Frankfurt

Diese Predigt nimmt drei Personen bzw. Personengruppen in den Blick: erstens die Sklavin, die einen Wahrsagegeist hatte, zweitens Paulus und Silas im Gefängnis und drittens den Gefängnisaufseher und sein Haus.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus der Apostelgeschichte des Lukas
im 16. Kapitel.

Dort steht:

16Es geschah aber, als wir zum Gebet gingen,
da begegnete uns eine Magd,
die hatte einen Wahrsagegeist
und brachte ihren Herren viel Gewinn ein mit ihrem Wahrsagen.
17Die folgte Paulus und uns überall hin und schrie:

Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes,
die euch den Weg des Heils verkündigen.

18Das tat sie viele Tage lang.
Paulus war darüber so aufgebracht,
dass er sich umwandte
und zu dem Geist sprach:

Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi,
dass du von ihr ausfährst.

Und er fuhr aus zu derselben Stunde.
19Als aber ihre Herren sahen,
dass damit ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war,
ergriffen sie Paulus und Silas,
schleppten sie auf den Markt
vor die Oberen
20und führten sie den Stadtrichtern vor […]
und die Stadtrichter ließen ihnen die Kleider herunterreißen
und befahlen, sie mit Stöcken zu schlagen.

23Nachdem man sie hart geschlagen hatte,
warf man sie ins Gefängnis
und befahl dem Aufseher,
sie gut zu bewachen.
24Als er diesen Befehl empfangen hatte,
warf er sie in das innerste Gefängnis
und legte ihre Füße in den Block.

25Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas
und sangen Gott Lieder.
Und die Gefangenen hörten zu.
26Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben,
so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten.
Und sogleich öffneten sich alle Türen,
und von allen fielen die Fesseln ab.

27Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr
und sah die Türen des Gefängnisses offenstehen,
zog er das Schwert und wollte sich selbst töten;
denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen.

28Paulus aber rief mit lauter Stimme:

Tu dir nichts an;
denn wir sind alle hier!

29Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein
und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen.
30Und er führte sie heraus und sprach:

Liebe Herren,
was muß ich tun,
dass ich gerettet werde?

31Sie sprachen:

Glaube an den Herrn Jesus,
so wirst du und dein Haus selig!

32Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen,
die in seinem Hause waren.
33Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht
und wusch ihnen die Striemen.

Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen
34und führte sie in sein Haus
und deckte ihnen den Tisch
und freute sich mit seinem ganzen Hause,
dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Schwestern und Brüder,
(Einleitung)
ich möchte auf den Abschnitt,
den ich gerade gelesen habe,
drei Schlaglichter setzen.
Ich nehme nacheinander drei Personen
bzw. Personengruppen
in den Blick:
erstens die Sklavin, die einen Wahrsagegeist hatte,
zweitens Paulus und Silas im Gefängnis
und drittens den Gefängnisaufseher und sein Haus.

(1)

Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes,
die euch den Weg des Heils verkündigen.

Das schreit die Sklavin den christlichen Missionaren hinterher.

Auch heute noch kennen wir Menschen,
die besondere Sensibilität haben für das,
was um sie herum geschieht.
Wir sagen manchmal von jemandem:

Der kann das Gras wachsen hören!

und meinen damit,
dass dieser Mensch Schwingungen und Stimmungen mitkriegt,
bevor sie irgendjemand anderem bewusst geworden sind.
In meinem Horizont sind das oft
die Kinder von emotional instabilen Eltern,
die von klein auf darauf getrimmt sind,
die Gefühle der Großen zu erraten
und zu kompensieren.
Im späteren Leben sind das die Menschen,
die zuverlässig dafür sorgen,
dass sich alle um sie herum wohlfühlen,
egal, was es sie selber kostet.
Das ist angenehm und praktisch – für alle anderen.

Manche,
die als Kinder schon früh den Haushalt schmeißen mussten
entwickeln später einen Putzteufel.
Sieht aus wie der Geist der Sauberkeit,
ist in Wirklichkeit aber der unreine Dämon alter Verletzungen.

Andere erfahren Unsicherheit in ihrem Leben
und entwickeln Kontrollwahn.
Das ist praktisch für alle Kollegen und so manchen Chef.
Die Arbeit,
zu der man in der Woche keinen Bock hatte,
lässt man am Freitag Nachmittag
auf dem richtigen Schreibtisch liegen.
Und es geschieht ein Wunder, wenn keiner dabei ist:
Am Montag ist die Arbeit gemacht.

Der Wahrsagegeist,
den die Sklavin hatte,
eröffnet ihr jedenfalls Einsicht,
dass an den christlichen Missionaren etwas besonderes dran ist.
Die Art,
wie sie das zum Ausdruck bringt,
gehört ganz in die heidnische Welt.
3

Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes.

Nachdem sie das „viele Tage“ lang wiederholt hat,
reagiert Paulus „aufgebracht“.
Extreme Gefühlsäußerungen sind in antiken Texten
ein Zeichen dafür,
dass ein Wunder geschieht.
Der Geist Gottes ist hier anweisend.
Paulus kehr (sich) um
4
und spricht zu dem Geist:

Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi,
dass du von ihr ausfährst.

Wo der Geist Gottes weht,
ist kein Platz mehr
für die alten
und neuen Geister dieser Welt.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
So steht nun fest
und lasst euch nicht wieder
das Joch der Knechtschaft auflegen!
5

Wo Christus ist, da ist Freiheit.
Glauben ist die Bindung an Jesus.
An den kannst du dich binden,
denn sein ganzes Wesen ist Barmherzigkeit,
die er schenkt.

Das passt natürlich nicht allen.
Lukas bemerkt mit einem breiten Grinsen im Gesicht:

Als aber ihre Herren sahen,
dass [mit diesem Geist
auch] ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war,
ergriffen sie Paulus und Silas […]

Mit den „Herren“
ist wohl das Eigentümer-Ehepaar der Sklavin gemeint.
6
Den Nutznießern der Besessenheit
ist die Kuh genommen,
die sie gemolken haben.
Sie nutzen – nicht zuletzt –
anti-jüdische Ressentiments ihrer Mitbürger,
um die Missionare ins Gefängnis werfen zu lassen –
unter Prügel.
Das bringt uns zum zweiten Teil der Predigt:
Paulus und Silas im Gefängnis.

(2) Die Sklavin haben sie von einem Geist befreit –
und wurden dafür im innersten Kerker in den Block geschlossen.
Doch auch der innerste Kerker
ist nur ein leibliches Gefängnis.
Geistlich sind Paulus und Silas frei.

Nach Mitternacht,
als die Welt ihre dunkelst Stunde hinter sich hat,
danken sie Gott im Gebet
und stimmen Lieder an.
Das ist die älteste Beschreibung über Christen
von einem Nicht-Christen:

Sie versammelten sich
gewöhnlich an einem bestimmten Tag
vor Sonnenaufgang
und brachten Christus einen Wechselgesang dar
wie einem Gott.
7

Der Sonnenaufgang ist schon eine Weile her,
aber einen Wechselgesang
haben wir heute auch schon gesungen.

So Christen beten und singen,
ist Gott gegenwärtig.
Das Erdbeben ist Zeichen für Gottes Gegenwart.
Die Befreiung der Gefangenen ist ihre Wirkung.

Doch diese Freiheit ist nicht abstrakt und prinzipiell.
Diese Freiheit ist gerichtet.
Paulus und Silas
werden nicht in frei-schwebenden Geistwesen verwandelt,
und sind unberührt von dieser Welt,
sondern sie sind mit ganzem Herzen da, wo sie gerade stehen.
Das Schicksal ihres Nächsten jammert
8 sie.
(3) Deswegen kommt als letzter
der Gefängnis-Aufseher in den Blick.

Mit geistlich-lauter Stimme bremst Paulus ihn,
als er sich das Leben nehmen will.

Tu dir nichts an;
denn wir sind alle hier!

Im Licht seiner Fackel blickt der Aufseher in ihre Gesichter.
Er erkennt Gott in ihnen
und in einem gewissen Sinne stimmt er ein in diesen Psalm:

Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.
9

Der Aufseher tut,
was in seiner Welt das richtige zu tun ist,
wenn man Gott begegnet:
Er fällt auf sein Gesicht.
Und er stellt die einzig richtige Frage:

Was muß ich tun,
dass ich gerettet werde?

Und Paulus antwortet –
als guter Lutheraner:

Glaube allein!

- Das Wunder von Gottes Anwesenheit,
- das Wunder der Freiheit
- und das Wunder der Glaubens
fallen
- in dieser Nacht,
- dort im Gefängnis,
- in der Gemeinschaft dieser Menschen,
zu
eine gesegneten Wirklichkeit zusammen.

Und das ist,
was die Geschichte weiter beschreibt.
Der Aufseher kümmert sich zuerst mal um die ganz menschlichen Bedürfnisse der geprügelten Missionare.
Sie können sich waschen,
die Wunden und die Blauen Flecke behandeln.
Doch auch ihr Wort,
das, was sie über Jesus zu sagen haben,
steht noch in dieser Nacht im Mittelpunkt.
Der Aufseher teilt das Wort sofort mit allen Menschen,
die er lieb hat.

Und er ließ
sich sogleich taufen
und allen den Seinen.

Wir modernen Menschen fragen danach,
ob die das auch gewollt haben.
Haben sie sich in Freiheit entscheiden können,
oder hat der Patriarch einfach für sie bestimmt?

Oder wir fragen danach,
ob sie jetzt wohl wirklich alle geglaubt haben,
- die Frauen und Kinder,
- freie und unfreie Mitglieder des Haushaltes,
also sprich: Verwandte, Mitarbeiter und Sklaven.
Oder haben sie nur nachgesprochen,
was ihnen aufgetragen war?

Was hier in kurze Worte gefasst ist,
ist die Familiengeschichte eines Hauses.
Da wird es Glaube und Zweifel gegeben haben,
Hinwendung zu Gott und Abwendung von ihm
genau so
- wie Schuld und Vergebung,
- Sünde und Umkehr –
genau wie in unserem Leben
und dem Leben unserer Familien auch.

Doch die wichtigste Farbe,
mit der uns Lukas diese Geschichte malt,
ist die Freude im Glauben.

Der Aufseher führte die Missionare in sein Haus
und deckte ihnen den Tisch
und freute sich mit seinem ganzen Hause,
dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Glaube ist ein Wunder,
das wir geschenkt bekommen.
Glaube ist eine Freude,
die mehr ist, als ein Gefühl,
sondern eine Bewegung von ganzem Herzen
und mit ganzer Seele.

Der Glaube ist nicht die Bindung an irgendein Gesetz,
das wie ein Gesetz dieser Welt ist.
Der Glaube ist nicht Unterjochung
- unter Mächte und Gewalten
- oder unter die Herren der Welt.
Glaube ist der Kniefall vor dem Herren,
dessen Natur und Wesen Gnade und Barmherzigkeit ist.
Er richtet dich auf und nimmt dich in den Arm.

Jesus Christis spricht:

Mt 11,28Kommt her zu mir,
alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
29Nehmt auf euch mein Joch
und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig
und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
30Denn mein Joch ist sanft,
und meine Last ist leicht.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!10 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. Rudolf Pesch, EKK, z.St., S. 113.


4 Παῦλος … ἐπιστρέψας Wie die Umkehr des Menschen zu Gott, ist auch diese Bewegung des Apostels durch den Hl. Geist vermittelte Gnade.


5 Gal 5,1 Paulus redet hier in Bezug auf das Gesetz in bestimmten christlich/jüdischen Gebrauchsweisen.


6 Vgl. Pesch, ebd.


7 Nach Brief X 96: C. Plinius an Kaiser Trajan.


8 Nach Lk 10,33 LUT84, dort Übersetzung von σπλαγχνίζομαι


9 Ps 36,10


10 Phil 4,7


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