17:18

Essbares Wort, hörbares Sakrament
Predigt zu Ez 2,1–3,3

14 Sexagesimae, 16. Februar 2020, Bremen

Thema des heutige Gottesdienstes ist das Wort Gottes. Wir hören einen Abschnitt aus dem Buch Hesekiel. Der Prophet hat eine Vision, an deren Ende er von Gott eine Schriftrolle zu essen bekommt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist eine Vision des Propheten Hesekiel,
aufgeschrieben in seinem Buch im 2. und 3. Kapitel:

1Der Herr sprach zu mir:

„Du Menschenkind, tritt auf deine Füße,
so will ich mit dir reden“.

2Und als er so mit mir redete,
kam Leben in mich und stellte mich auf meine Füße,
und ich hörte dem zu, der mit mir redete.

3Und er sprach zu mir:

Du Menschenkind,
ich sende dich zu den Israeliten,
zu dem abtrünnigen Volk,
das von mir abtrünnig geworden ist.

Sie und ihre Väter
haben bis auf diesen heutigen Tag wider mich gesündigt.
4Und die Söhne, zu denen ich dich sende,
haben harte Köpfe und verstockte Herzen.
Zu denen sollst du sagen:

„So spricht Gott der Herr!“

5Sie gehorchen oder lassen es
– denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –,
dennoch sollen sie wissen, daß ein Prophet unter ihnen ist.

6Und du, Menschenkind,
sollst dich vor ihnen nicht fürchten
noch vor ihren Worten fürchten.
Es sind wohl widerspenstige und stachlige Dornen um dich, und du wohnst unter Skorpionen;
aber du sollst dich nicht fürchten vor ihren Worten
und dich vor ihrem Angesicht nicht entsetzen
– denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –,
7sondern du sollst ihnen meine Worte sagen,
sie gehorchen oder lassen es;
denn sie sind ein Haus des Widerspruchs.

8Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage,
und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs.
Tu deinen Mund auf und iß, was ich dir geben werde.

9Und ich sah, und siehe,
da war eine Hand gegen mich ausgestreckt,
die hielt eine Schriftrolle.
10Die breitete sie aus vor mir,
und sie war außen und innen beschrieben,
und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh.

3,1Und er sprach zu mir:

Du Menschenkind,
iß, was du vor dir hast!
Iß diese Schriftrolle
und geh hin und rede zum Hause Israel!

2Da tat ich meinen Mund auf,
und er gab mir die Rolle zu essen
3und sprach zu mir:

Du Menschenkind,
du mußt diese Schriftrolle, die ich dir gebe,
in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen.

Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Lasst uns beten:
Herr Gott, Heiliger Geist, komm zu uns in deiner Kraft.
Lass uns erkennen, was du uns zeigen willst durch Hesekiels Vision.
— Amen

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Einstieg

Die kleine Anne liegt in ihrem Bett.
Es ist halb sechs Uhr Morgens
und sie muss eigentlich erst in einer Stunde aufstehen,
um zur Schule zu gehen.

Sie hört, wie ihr Vater in ihr Zimmer kommt
und sich auf die Bettkante setzt.

Wenn ihr Vater sie so früh morgens weckt,
dann weiß sie schon, was los ist:
Ihr Vater ist ein Frühaufsteher
und ab und zu,
wenn er nicht mehr schlafen kann,
steht er in aller Herrgotts-Frühe auf
und fährt zum Großmarkt.

Jetzt ist er wieder nach Hause gekommen
und sucht eine Komplizin
für ein kulinarisches Abenteuer.
Er hat einen kleinen Teller in der Hand und sagt:

„Mach ma’ den Mund auf!“

  • Das könnten Kieler Sprotten sein,
    frisch aus dem Räucherofen,
  • Krabben,
    die heute morgen noch auf dem Kutter gekocht wurden,
  • exotische Früchte:
    Mangos oder Litschis,
  • edles Gebäck aus dem Orient:
    Türkisches Backlawa, das in Honig schwimmt.

Hmhm… lecker!

Der Vater fragt:

„Frühstückst du mit mir?“

Klar macht sie das!
Während sie sich anzieht
räumt er die restlichen Einkäufe weg
und macht sich Kaffee.

Anne ist das zweite von drei Kindern.
Und wie viel mittleren Kinder
hat sie etwas Pech:
Wenn das erste Kind aus dem Gröbsten ’raus ist,
ist das jüngste ja noch ganz klein
und bindet die Aufmerksamkeit der Eltern.

Sie geht in die Küche
und schmiert sich ein Brot.
Sie setzt sich neben ihren Vater.
Er riecht nach Mann und schwarzem Kaffee.

Sie reden nicht viel miteinander.
Reden ist nicht so seins,
schon gar nicht über Gefühle.
Aber Anne liebt diese Morgenstunden:
Da hat sie ihren Vater ganz für sich alleine.
Und das weiß er ganz genau.

2. Offenbarung im Exil

Liebe Gemeinde,
ich habe uns ein Bild gemalt von
Nähe und Vertrauen zwischen Vater und Kind.

„Mach mal’ den Mund auf…!“

Da muss man schon ganz schön Vertrauen haben!
Am Ende unseres Predigtabschnittes beweist Hesekiel
genau dieses Vertrauen.
Er isst, was ihm gereicht wird
und das Buch ist in seinem Mund

„Süß wie Honig“.

Doch zu Anfang ist Hesekiel erst mal überwältigt:
„Wie tot“
2 fällt er Gott zu Füßen.

Abgesehen davon,
wie gewaltig für ihn diese Begegnung gewesen sein muss,
sie war auch im höchsten Maße überraschend.
Dass sich Gott Menschen offenbart,
das war im Leben der Menschen fest verankert.
Doch in ihrer Vorstellung waren Götter ortsgebunden.
Hesekiel empfängt seine Vision nicht in Jerusalem
oder am Jordan,
sondern er muss am Fluss Kebar wohnen.
Er gehört zu denjenigen Israeliten,
die von den Babyloniern ins Exil geführt wurden.
Trotzdem redet Gott mit ihm
und macht ihn zum Propheten für sein Volk in der Fremde.

Gott sagt zu ihm:

Du Menschenkind,
ich sende dich zu den Israeliten…

Zu denen sollst du sagen:
„So spricht Gott der
Herr!“

So hatte Gott schon zu ihnen geredet,
als sie noch im gelobten Land wohnten,
als sie den Tempel noch auf dem Zion stehen sahen
und sehr zufrieden waren mit sich selbst.

Ich glaube, der christlichen Kirche geht es sehr ähnlich.
Wir haben uns zwar nicht wegbewegt,
aber wir sind nicht mehr im gelobten Land.
Jedenfalls ist die Kirche nicht in ihrer Komfort-Zone.
Früher war es mal normal, in die Kirche zu gehen.
Heute ist man als junger Mensch damit exotisch.

Früher musste man sich entschuldigen,
wenn man nicht zum Gottesdienst kommt.
Heute stößt man auf Unverständnis,
wenn man am Sonntag Vormittag keine Zeit
für ein Fußballspiel hat.

Diese Situation löst in vielen den Schmerz eines Verlustes aus.
Sie haben das Gefühl, wir sind in der Fremde.
So, wie die Israeliten im Exil
sind wir von einer heidnischen Kultur umgeben.

Da ist es ermutigend zu hören,
dass Gott zu seinem Volk
nicht nur in der Heimat offenbart,
sondern er redet zu ihnen dort,
wo sie gerade sind. Diese Zusage gilt auch uns Christen.
In der Taufe hat er uns den Heiligen Geist geschenkt.
In ihm tröstet und ermahnt er uns.
Der Geist wird uns im richtigen Moment lehren,
was wir sagen sollen.
3

Das heißt noch lange nicht,
dass das automatisch immer klappt.
Ich hatte neulich eine Situation,
da saß ich mit einer Gruppe freundlicher Bremer
in einem Restaurant
und das Thema kam darauf, was wir so beruflich machen.
Als ich sagte, was ich tue,
war das für meine Gesprächspartner ein echter Angang:
- Pastor in einer Freikirche?
- Konservativ auch noch?
- Keine Frauen als Pastorinnen?
- „Also gegen Intoleranz bin ich intolerant“.
Und das
mir. Ausgerechnet.

Ich wusste nichts dazu zu sagen,
- selbst als studierter Theologe,
- als professioneller Redner über diese Themen.
Ich habe ich kein Wort ’rausgekriegt.
Später fiel mir einiges ein,
was ich alles Kluges hätte erwidern können.
Aber in dem Moment
waren meine Zähne aufeinandergeklebt
und meine Zunge gehalten.

Der Heilige Geist schenkt sein Wort
wo und wann er will.

Es gib andere Momente,
da hat ein einzelner Satz,
ein kurzer Gedanke
Herz und Hirn eines anderen Menschen erreicht.
– Gott sei dank!

Wir haben den Heiligen Geist,
aber wir haben ihn nicht unter Kontrolle.
Genau wie Hesekiel müssen wir gut hinhören,
wenn Gott uns sagt:

6Und du, Menschenkind,
sollst dich vor ihnen nicht fürchten…
7sondern du sollst ihnen meine Worte sagen.

Es hilft nichts:
Wir müssen dadurch.

Ich möchte euch Mut machen,
mit eurem Glauben nicht hinter dem Berg zu halten.
Ihr braucht ihn nicht auf dem Markt feilbieten,
aber wenn es die Gelegenheit gibt:
Fürchtet euch nicht!
Probiert es!
Horcht in euer Herz
und öffnet euren Mund –
sprecht frei über euren Glauben,
wenn sich die Gelegenheit bietet.
Wunder geschehen jeden Tag.

3. Realistische Erwartungen

Liebe Gemeinde,
bei aller Zuversicht und Freude auf Gottes Handeln,
lasst uns realistische Erwartungen haben.

Gott spricht zu Hesekiel:

„Sie gehorchen
oder sie lassen es“.

Gott sagt:
Rede zu ihnen,
sprich wie ein Prophet von alters her:

„So spricht Gott der Herr!“

Aber sie nehmen es an
oder nicht.

Das Wort Gottes hat große Hindernisse zu überwinden.
Und selbst wenn es
- die Zäune der Fremdheit,
- den Stacheldraht der Vorurteile
- und die Mauern der Missverständnisse überwunden hat
trifft es
unweigerlich
auf den Graben der Sünde.

Und wir wissen alle genau:
Den gibt es nicht nur außerhalb der Kirche,
– bei den anderen –,
sondern auch innerhalb der Kirche
– bei mir selbst.

Für jeden Menschen gilt das:

Wir nehmen es an
oder wir lassen es.

Dieses Wort an Hesekiel,
im Alten Testament,
macht uns deutlich,
wie hell dieses Wort aus dem Neuen Testament leuchtet:

Das Wort wurde Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
4

Weihnachten –
Gottes Wort kommt zu uns.

Wir sind immer noch zweideutig:
Wir nehmen das Wort an
– oder lassen es!

Aber Gott kommt in unsere Zweideutigkeit.
Er schlägt die Brücke über diesen Graben.
Wir sind „annehmen“ und „lassen“,
aber er ist ganz „Ja“.
5

- Sein Ja
- und dass er in unserer Mitte steht:
Dieser heiße Kern strahlt nach außen ab.
Mission bedeutet,
unsere Gemeinde nach außen so durchlässig zu gestalten,
dass diese Wärme noch außen dringt
und Menschen anzieht.
Dieses Licht wird Menschen zu Christus leiten.

4. Schluss: Wort und Sakrament

Liebe Brüder und Schwestern,
diese Predigt beginnt mit einer Szene
in der gemeinsames Essen Menschen verbindet.
Anne und ihr Vater sitzen gerne so zusammen in der Küche.
Bevor der Rest der Familie aufsteht,
haben sie ein kleine, ungestörte Zeit zu zweit.

Hesekiels Gefühle vor Gott sind ganz anders.
Er geht vor Überwältigung zu Boden,
so sehr übermannt ihn die Ehrfurcht!
Am Ende gibt es aber für ihn eine Überraschung:

Gott spricht zu ihm:

Du Menschenkind,
du mußt diese Schriftrolle, die ich dir gebe,
in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen.

Und Hesekiel erlebt:

Da aß ich sie,
und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.
6

Auch uns wird das Wort Gottes zu essen gereicht.
Sein Leib ist in und unter dem Abendmahl gegenwärtig.
Die himmlische Zusage,
dass er „für uns“ und „zu unserem Heil“ herabgekommen ist,
wird hier fühl- und erfahrbar.

Es schmeckt nicht immer „süß wie Honig“.
Manchmal schmeckt sie auch muffig wie Sakristei-Schrank.
An der Wirklichkeit der Welt
reibt sich eben so mancher Anspruch ab!

Aber dieses Wort, diese Liebeserklärung,
spricht von der gleichen zärtlichen Nähe
und dem liebevollen Zuspruch
wie von einem guten Vater für seine Kinder.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!7 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Eigentlich Offb 1,17, vgl. Ez 1,28 und 2,2. Ich will die Predigt hier nicht komplizierter machen als nötig, aber vielleicht schlägt jemand eine Brücke zum Predigtabschnitt zum Letzten So. n. Epiph („Pferdofant“). – Das ist ja erst 14 Tage her.


3 Vgl. Lk 12,12


4 Joh 1,14


5 Vgl. „Gott kommt in unsere Zweideutigkeit“, Predigt zu 2.Kor 1,19, 4. Advent 2019.


6Diesen Gedanken kann ich hier leider nicht entfalten, sonst wird die Predigt einfach zu lang. Ich hab’ noch eine Gemeindeversammlung!
Dies ist ein Lob für das Wort Gottes, das uns als Schrift begegnet. Es ist ein Geschenk, dass wir Gottes Wort aufgeschrieben in die Tasche stecken können. Bei allen Problemen, die das mit sich bringt: – Wir müssen das Wort ja immer noch auslegen. – Aber wir haben ein Gotteswort, das wir auslegen können! Zur Zeit des Propheten Hesekiel beginnt ein Handwerk wichtig zu werden, das später Menschen hervorbringt, die „Schriftgelehrte“ heißen. Die „Pharisäer und Schriftgelehrten“ erscheinen im Neuen Testament manchmal als die unverständigen „Bösen“. Doch sie sind gerade die, von den Verständnis erwartet wird, weil sie die Schrift so gut kennen. Sie sind von Christus geschätzte Gesprächspartner.

Auch die christliche Kirche hat eine schriftgelehrte Seite. Deswegen ist ein Theologiestudium ist Sprachen-Studium. Ich stehe vor euch in schwarzen Talar eines Gelehrten. Es gibt die, die sagen, für einen lutherischen Pastor sein ein Priestergewandt angemessener, weil er das Sakrament verwaltet. Aber Wort und Sakrament gehören zusammen – und zum Wort gehört immer die Gelehrsamkeit. Liturgiegeschichtlich mag es fragwürdig sein, aber so gesehen würde ich Talar und Stola tragen: Wir sind schriftgelehrte „Priester“ (wobei man hier noch mal genau bestimmen müsste, was das Wort eigentlich heißt).


7 Phil 4,7