14:22

Ohne Kreuz keine Krone
Predigt zu Am 5,21–24

138 Estomihi, 11. Februar 2024, Frankfurt

Was Amos da sagt, ist viel schlimmer, als es uns vorkommt – mit dem Abstand der Jahrhunderte und der Kultur. Die Worte des Propheten sind hart doch er fragt richtig: Wann und wie passen unser Gottesdienst und unser Leben zusammen?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist die Lesung aus dem Alten Testament,
wie wir sie eben gehört haben.
Ich werde sie im Laufe der Predigt wiederholen.

Lasst uns beten: Herr, gib deinen Heiligen Geist, damit wir das Wort des Amos als dein Wort an uns hören. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1) wir ziehen hinauf nach Jerusalem
zu einem Familienfest.
Papa, Mama, Oma, Opa, Onkel und Tanten
und auch der Schwager, der nicht so richtig glaubt:
Sie kommen alle mit.
So ein Schlachtopfer,
das schafft sichtbare Fakten.

Man hat in der Antike nicht oft geschlachtet,
aber wenn man doch ein Tier aus der Herde nahm,
wurde das sehr feierlich begangen.
Einmal im Jahr zog die Familie dafür zum Heiligtum.
Wir können uns eine festlich gedeckte Tafel vorstellen,
in deren Zentrum der Braten stand.

Bevor es losgeht,
kommt der Priester
und lässt Gottes Anteil in Rauch aufgehen.
Dieser Ritus ist der religiöse Höhepunkt der Reise
und dient sicher auch als Tischgebet.

Der Schwager stupst seinen Neffen an und raunt:

Hoffentlich betet er heute schnell,
ich hab Hunger!

Das riecht ja auch richtig gut!
Wie beim Grillen:
In dem Geruch des verbrannten Fetts
steckt die Vorfreude auf das Festmal.

Am Ende der Opfer-Liturgie
erwartet die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde,
dass der Priester etwas sagt wie:

Ich verkündige euch als berufener Sohn des Aaron,
als beauftragter Priester aus dem Stamm Levi:

Gott der Herr hat eurer Festversammlung sein Herz geöffnet,
denn er roch den Wohlgeruch des Opfers gern.

Er sieht euer Speiseopfer gnädig an
und hat Wohlgefallen an euren Dankopfern.

Eure geistlichen Lieder hört er mit Freude
und er ist mit seinem Geist gegenwärtig hier bei eurem Fest!

Amen!
Guten Appetit!

Doch heute kommt alles anders.
Als der Priester gerade anheben will,
steht Onkel Amos auf.

Er redet nicht laut,
im Gegenteil.

Doch alle hören in seiner Stimme den Donner vom Sinai.
Sie spüren in seinen Worten
das Feuer des Dornbuschs, der nie verbrennt.

So spricht der Herr:

Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie.
Ich kann eure Versammlungen nicht riechen.

Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert,
so habe ich kein Gefallen daran.
Ich mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.

Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder!
Ich mag dein Harfenspiel nicht hören! —

Es ströme aber das Recht wie Wasser
und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Als Amos sich setzt,
war das Familienfest gelaufen.
- Der Priester steht da wie ein begossener Pudel.
- Die Kinder weinen.
- Die Großen wissen nicht, was sie sagen sollen.
- Die Teenager gucken zum Schwager,
aber der hat den Kopf unter die Tischdecke eingezogen
und wimmert vor sich hin.

Was Amos da macht
ist wie ein Gottesdienst am Heiligen Abend,
der mit diesem Schlusslied endet:

O du fröhliche,
O du kitschige,
kommerzgeprägte Weihnachteszeit:
Stoll’n wird gefressen,
Nächste wird vergessen.
Feier schön, feier schön, o Christenheit.

O du fröhliche,
O du heuchelnde,
ganz verlogene Weihnachtszeit.
Welt ging verloren. —

Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es für einen Raub:
Er ist Gott gleich!
Für uns entäußert er sich nicht.

Es ströme aber das Recht wie Wasser
und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

(2) Liebe Gemeinde,
was mich an der Bibel immer wieder beeindruckt,
sind die Prioritäten,
die sie setzt.
Es überrascht mich,
dass eine Stimme, wie die von Amos,
so prominent überliefert wurde.
Die Bibel will Religion gestalten und bewahren.
Doch sie enthält auch echte
und scharfe
Religionskritik.

Um so mehr stellt sich die Frage,
was für uns „Recht und Gerechtigkeit“ ist.
Welche Kriterien bestimmen unser Leben,
damit es zu einem biblischen Gottesdienst passt?

(a) In vergangenen Zeiten
war man Erkenntnis-optimistisch.
Man war der Meinung:
Ob ein Mensch zur heiligen Gemeinde gehört
und den Glauben mit uns teilt,
erkennt man an dessen Bekenntnis
und an seinem Lebenswandel.

Auf genau dieser Linie steht noch unsere Gemeindesatzung.
Um in die Trinitatisgemeinde aufgenommen zu werden,
muss man einen Antrag stellen beim Pfarrer.
Darüber entscheidet dann der Gemeindevorstand.
In dieser Regelung steckt die Auffassung,
dass der Kirchenvorstand
an seinem Erleben dieses Menschen ablesen kann,
ob er den rechten Glauben hat oder nicht.

Lebenswandel und öffentliche Religiosität
galten als Abbild der inneren Haltung.
Das „Wahre, Schöne, Gute“ sind noch eins.
Bekenntnis, Auftreten und Moral
sind untrennbar mit Gott verbunden.
„Recht und Gerechtigkeit“
fallen zusammen mit bürgerlichem Anstand.
Das schreit natürlich nach Doppelmoral und Heuchelei.
Je strikter eine religiöse Gemeinschaft ist,
desto mehr muss man sich seine Freiheiten suchen.

Handelte ein Gemeindeglied gegen die Regeln,
wurde es in Kirchenzucht genommen.
Das heißt,
man wurde vom Abendmahl ausgeschlossen.

Den Weg zurück in die Gemeinschaft
bot eine öffentliche Abbitte vor der Gemeinde.
Als Erinnerung blieben Demütigung und Verletzung zurück,
insbesondere bei Frauen.
Sie mussten z.B. im Fall einer ungewollten Schwangerschaft
Abbitte leisten,
weil diese kaum zu verbergen war.
Was eigentlich Gemeinschaft ermöglichen sollte,
hat das Gegenteil bewirkt.
Auch die Kirche besteht eben aus sündigen Menschen
und die Sünde zerfrisst auch die beste Moral
und die höchsten Vorsätze.

Wohin sollen wir gehen?

Christus sagt:

Will mir jemand nachfolgen,
der verleugne sich selbst
und nehme sein Kreuz auf sich
und folge mir nach.

Wir sind angewiesen darauf,
dass wir von außen angerührt werden,
dass Christus uns die Augen öffnet
und den Weg weist.

Ohne Kreuz keine Krone.

Im Leiden,
im Zweifel
und in der Unsicherheit der Welt
gehen wir den Weg mit Christus.

  • Erkenntnis und Gewissheit
    haben wir da,
    wo er sie schenkt.
  • Einsicht haben wir da,
    wo er uns die eigene Sicherheit nimmt
    und uns statt dessen seine fremde Gerechtigkeit gibt.
  • „Recht und Gerechtigkeit“ kommen von außen zu uns,
    weil sie
    sein Recht
    und
    seine Gerechtigkeit sind,
    nicht unsere eigenen.

(b) Dem Erkenntnis-Optimismus vergangener Zeiten
steht heute ein Erkenntnis-Pessimismus gegenüber.

Diese Haltung fragt:

Wer weiß schon, wie es im Herzen eines Menschen aussieht?

Wer weiß schon, was richtig ist,
denn andere Religionen enthalten auch viel Wahrheit?

Jeder Anspruch, Recht zu haben,
wirkt da gefährlich und gewaltbehaftet.

(3) Ihr lieben,
der Optimismus der Alten ist gescheitert,
denke ich.
Dieser Weg steht uns nicht offen,
denn auf gewisse Art verleugnet er das Kreuz.
Wer in
sich Sicherheit sucht,
sucht sie nicht bei Christus.

Doch die Kirche muss von Christus zeugen.
Das geht nur in Demut,
aber mit Gewissheit – 
fremder Gewissheit in Christus.
Das geht nur in Liebe,
aber mit einem gesunden Bewusstsein für Grenzen,
Grenzen, die der Mitte dienen.
Die Mitte ist Christus. —

Nein, unsere Lehre ist nicht der Erkenntnis letzter Schluss.
Doch es ist auch nicht alles egal.

Gott ist nicht alles egal,
denn
Du bist Gott nicht egal.

Gott hat einen Pflock eingeschlagen in die Weltgeschichte.
Der reicht von Bethlehem über Golgatha bis zu dir.

Deswegen können wir nicht schweigen.
Die Lehre der Kirche dient der Verkündigung
und nicht dem Kampf um Meinungen.
Wir bestehen darauf zu sagen:

„Wir haben recht“,

wenn wir damit sagen,
dass Gott die Welt so sehr geliebt hat,
dass er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat.

Welt ging verloren.
Christ ward geboren.
Freue dich, freue dich, o Christenheit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!2 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 135 KB)

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