16:18

Das Essen war teuer
Predigt zu Apg 2,41–47

122 7. So. n. Trinitatis, 23. Juli 2023, Frankfurt

Wir begleiten Tim bei einem Sushi-Essen mit der Geschäftsleitung und Lydia bei einem Hausgottesdienst in Jerusalem zur Zeit der Apostel.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ein Abschnitt aus dem Anfang der Apostelgeschichte.
Petrus hatte gerade eine öffentliche Rede gehalten,
die wir als seine „Pfingstpredigt“ kennen.
Lukas beschreibt deren Wirkung so:

41Die nun sein Wort annahmen,
ließen sich taufen;
und an diesem Tag
wurden etwa dreitausend Menschen
[der Gemeinde] hinzugefügt.
42Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel
und in der Gemeinschaft
und im Brotbrechen
und im Gebet.

43Es kam aber Furcht über alle Seelen,
und es geschahen
auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel.

44Alle aber, die gläubig geworden waren,
waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam.
45Sie verkauften Güter und Habe
und teilten sie aus unter alle,
je nachdem es einer nötig hatte.
46Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel
und brachen das Brot hier und dort in den Häusern,
hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen
47und sie lobten Gott
und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk.

Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu,
die gerettet wurden.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1) Tokyo

Tim ist Ingenieur.
Gerade heute ist er zum Held seiner Firma geworden.
Sie haben ihn nach Tokyo geschickt
und er konnte das Problem in Rekordzeit finden und lösen.

Während Tim leicht beschämt ist
und heimlich ausrechnet,
was diese Reise für einen Arbeitstag gekostet hat,
ist das Management einfach nur zufrieden.
Die teure Anlage
Made in Germany
läuftwieder und verdient Geld.
Der Firmenchef höchstpersönlich
möchte ihm seine Anerkennung ausdrücken
und lädt ihn zum Essen ein.
Sushi.
In einem der angesagtesten Restaurants der Stadt. —
Eine Ehre!

Tim akzeptiert die Einladung, natürlich.
Nach vielen Verbeugungen
unter gestammelten Worten auf Englisch
ist der Chef dann aus der Tür raus.
Tim fragt die Übersetzerin:

Sag mal:
Kannst du mir zeigen,
wie man mit Stäbchen isst?

Sie kichert.

Die beiden gehen in die Cafeteria
und Tim kriegt eine Kurzeinführung in japanische Essmanieren:

  • das eine Stäbchen verlängert den Daumen – so,
  • das andere Ring- und Zeigefinger – so.
  • Nicht den Reis in die Sojasauce tauchen,
    sondern den Fisch!
    Der Reis ist das Geheimnis der Sushi-Küche.
    Die Rezepte werden von Generation zu Generation weitergegeben.
  • Der eingelegte Ingwer reinigt den Gaumen
    wie das Weißbrot bei einer Weinprobe. —
    Tim spart sich den Kommentar,
    dass eine Weinprobe vor allem „knallen“ muss.
    Wäre jetzt unangemessen.

Zum Abschluss erinnert ihn seine Begleiterin,
dass die Einladung eine Ehre sei.
Das Restaurant gelte als eines der besten der Stadt.
Es grenzt an ein Wunder,
dort so kurzfristig eine Reservierung zu bekommen.

Das ist bestimmt ein teurer Laden!

meint Tim.
Für einen Augenblick verlässt seine Gesprächspartnerin
die japanische Zurückhaltung:

Sushi kostet da das Stück ab 5.000 ¥.

Da errötet sie und verabschiedet sich hastig.

Tim bleibt nachdenklich zurück und fängt an zu rechnen:

5.000 ¥?
Das sind gut 30,– €.

Nicht für ein Essen,
nicht für eine Portion,
sondern für
ein mundgerechtes Stück Sushi – 
ein Mundvoll Reis mit ein bisschen Fisch oben drauf:
30,– €

Tim überlegt,
wie lange sein Vater als Klempner für 30,– € arbeiten muss.

Daran wird Tim deutlich,
dass er in einem anderen Land ist,
mit einer anderen Sprache
und anderem Essbesteck.
Er verkehrt in Kreisen,
die eine anderen Haltung zu Wert haben,
als er das gewöhnt ist.
Das ist ihm fremd und ein bisschen gruselig.
Dabei weiß er, dass ein Ausdruck von Wertschätzung ist.
Seine Arbeit hilft dieser Firma, viel Geld zu verdienen.

(2) Jerusalem

Liebe Gemeinde,
ich möchte euch nun mitnehmen
aus dem heutigen Tokyo in das antike Jerusalem.
Unser Predigtabschnitt heute morgen
malt uns das Bild der Kirche vor Augen
kurz nach dem Pfingstereignis:

Die Christen blieben beständig in der Lehre der Apostel
und in der Gemeinschaft
und im Brotbrechen
und im Gebet.

Sie brachen das Brot hier und dort in den Häusern,
hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen
und sie lobten Gott.

In dieser Atmosphäre begleiten wir Lydia.

Lydia hat die Predigt der Apostel gehört
und das Evangelium hat von Jesus Christus sie angesprochen.
Sie ist einer sehr freundlichen Einladung gefolgt
und trifft sich heute mit anderen Christen
zu einem Hausgottesdienst.

Als sie beim Haus ankommt merkt sie,
dass das sehr vornehme Leute sind.
Sie zögert, klopft dann aber doch.

Es öffnet ihr ein Mann
und sie ist nicht sicher,
ob er der Diener oder der Hausherr ist.

Sie wird sehr herzlich begrüßt:

Ah, Lydia …

ob sie die Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira sei,
die mit ihrem ganzen Haus getauft worden ist?
3

Äh, nein … Ich bin hier aus Jerusalem.

Dabei denkt sich Lydia:

Purpurhändlerin?? Sehe ich so aus?
Wenn ich eine Purpurhändlerin wäre,
mit einem eigenen Haus,
würde ich dann
diese Klamotten tragen?

Der Gottesdienst gefällt Lydia sehr gut.
Den Gesang der Psalmen findet sie wundervoll
und der Bericht der Apostel aus dem Leben Jesu
beeindrucken sie tief.

Dann wird das Brot gebrochen
und ein Kelch mit Wein geht um.
Das alles ist sehr feierlich
und die Menschen sind mit großem Ernst bei der Sache.
Freude leuchtete in ihren Augen.

Es folgt ein gemeinsames Abendessen.
Das Essen ist einfach:
Brot und und Wein und Früchte.
Aber so feines Brot
und so edlen Wein
hat Lydia noch nie gekostet.
Sie weiß, dass das sehr teures Essen sein muss.

Im Laufe des Abends hat sie mitbekommen,
wer der Hausherr ist und wer seine Frau,
wer die Gäste sind und wer die Diener.
Als die Menschen zu gehen beginnen,
nimmt sie einen Tageslohn aus der Tasche,
das, was man für sein „täglich Brot“ aufwenden muss.
Sie nähert sie sich respektvoll der Hausherrin
und fragt,
was dieses feine Essen gekostet habe.

Sie antwortet:

Für dieses Essen
hat der Sohn Gottes sein Leben gegeben.

Dann umschließt sie
Lydias Hand mit ihrer eigenen. —
Es ist ein Geschenk.

(3) Frankfurt

Ihr lieben,
auch wir kommen zusammen
- in geistlicher Gemeinschaft,
- mit Freude und Lobgesang
- und wir zelebrieren eine sehr fremdartige Esskultur.

Für die meisten unserer Zeitgenosse
ist es schon eine Herausforderung,
dass wir zusammen singen.
Wann tut man das schon mal im normalen Leben?
Vielleicht noch im Fußballstadion.

Wann hört man einen viertelstündigen Vortrag?
Ohne
PowerPoint
und ohne musikalische Untermalung?

Dann singen sich Pastor und Gemeinde gegenseitig Dinge zu.
Im richtigen Moment
knien die Menschen.
Wann kniet man heutzutage noch,
wenn man nicht gerade vom englischen König
zum Ritter geschlagen wird?
Amerikaner knien beim Heiratsantrag,
aber bei denen muss immer alles dick aufgetragen sein.

Beim Essen benutzen dann manche nicht mal Stäbchen,
sondern lassen sich die Hostie direkt in den Mund legen. —

Wenn der Himmel in die Welt einbricht,
muss uns das fremd und sogar gruselig vorkommen.
Als Petrus den großen Fang tut
und sieht,
dass Jesus Gott ist,
sagt er zu ihm:

Herr, geh weg von mir!
Ich bin ein sündiger Mensch.
4

Doch Jesus antwortet sofort:

Fürchte dich nicht!5

Genau diese Spannung hat der Gottesdienst auch.
Was hier geschieht
ist fremdartig und neu.
Der Himmel bricht in die Welt ein
und Gott bindet sich durch sein Wort an die Elemente.
Die Inszenierung um dieses Ereignis herum
muss vielleicht sogar anders aussehen,
als alle anderen Veranstaltungen in dieser Welt.

Gleichzeitig geschieht dies für uns Menschen
und nicht an uns vorbei.
Wir als Gemeinde sollen einladen,
ohne den Wahrheitsanspruch zu mindern.
Wir sollen auf Gottes große Geschenk hinweisen
mit Freude
und Dankbarkeit,
ohne den Ernst der Angelegenheit in Frage zu stellen.
Dafür eine gute Sprache zu finden
und angemessene Formen zu wählen,
ist eine Aufgabe,
die jedem Christenmenschen gestellt bleibt
und jeder Gemeinde
und der ganzen Kirche.

(4) Zu Hause

Damit diese Predigt erzählerisch rund wird,
möchte ich Tim noch nach Hause holen.
Er setzt sich also in Tokyo ins Flugzeug,
landet auf dem Frankfurter Flughafen
und fährt in seine Wohnung.
Seine Frau begrüßt ihn mit einem Kuss
und seine Tochter mit einer Einladung:
Er müsse jetzt sofort in ihr Kinderzimmer kommen
zu Kaffee und Kuchen.
Er versucht abzuwiegeln,
aber seine Frau gibt ihm zu verstehen,
dass es ganz egal sei,
wie viel Geld er in den letzten Tagen verdient habe.
Hier ist ein fünfjähriges Mädchen,
sie habe einen Anspruch auf ihren Vater.

Tim schleppt sich also ins Kinderzimmer
und sitzt als ein Riese zwischen Teddy und Puppi
auf einem viel-zu-kleinen Stuhl.
Das junge Mädchen kennt ihren Vater gut
und serviert zuallererst eine Tasse Kaffee.
Sie drückt ihm eine rosane Plastiktasse in die Hand,
an der praktischerweise die Untertasse gleich mit dranhängt.

Aber da ist ja gar kein Kaffee drin,

sagt er mit halb-gespielter Enttäuschung.

Den musst du dir denken!
Ich habe ihn mit ganz viel Liebe gekocht.

Hm… Super Kaffee!
Man kann die Liebe schmecken!

Vater und Tochter strahlen sich an.

Die junge Gastgeberin geht daran,
gedachtes Mehl
mit gedachter Butter
und gedachtem Zucker zu einem
gedachten Kuchen zu verarbeiten.

Da kommt Tims Frau ’rein
und reicht ihm eine Tasse mit Kaffee,
den man sich nicht denken muss:
die richtige Sorte
mit genau der richtigen Menge Milch.
Ah! Schmeckt nach Liebe.

Und das,
liebe Brüder und Schwestern,
ist der Unterschied zischen reformiertem
und lutherischem Abendmahlsverständnis.

Die Reformierten glauben, du musst dir Jesus denken.
Was im Abendmahl geschieht, findet im Kopf statt.
Wir glauben,
dass Gott Himmel und Erde in Bewegung setzt,
um leiblich und greifbar hier bei uns zu sein.
Das betrifft den ganzen Menschen
mit Leib und Geist und Seele
und dem ganzen Leben, das du lebst.

Das ist geheimnisvoll und offensichtlich,
fremdartig und vertraut,
kostbar und unscheinbar.

Gott ist hier für dich.
Es ist ein Geschenk. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. Apg 16,14f. Dieses Ereignis ist zeitlich natürlich viel später, aber da ich Lydias Namen hier verwende, soll sie in meiner kleinen Erzählung nicht fehlen.


4 Aus Lk 5,8.


5 Ebd. Vers 10.


6 Phil 4,7


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