15:49

Die Verheißung des Heiligen Geistes
Predigt zu Joh 14,15–19(20–23a)23b–27

118 Pfingstmontag, 29.5.2023, Hanau

Der Heilige Geist ist unser Tröster und Ermahner. Ist das nicht widersprüchlich? Wie kann er beides sein? Ich stelle mir vor, dass einer neben mir steht, wie ein Trainer beim Gewichtheben.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Aus dem Abschnitt Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist die Evangeliums-Lesung für das Pfingstfest ausgewählt.
Er steht geschrieben im Evangelium nach Johannes,
um 14. Kapitel und lautet vollständig:

Christus spricht:
15„Liebt ihr mich,
so werdet ihr meine Gebote halten.

16Und ich will den Vater bitten,
und er wird euch einen andern Tröster geben,
daß er bei euch sei in Ewigkeit:
17den Geist der Wahrheit,
den die Welt nicht empfangen kann,
denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht.
Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.

18Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen;
ich komme zu euch.

19Es ist noch eine kleine Zeit,
dann wird mich die Welt nicht mehr sehen.
Ihr aber sollt mich sehen,
denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
20An jenem Tag werdet ihr erkennen,
daß ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.

21Wer meine Gebote hat und hält sie,
der ist’s, der mich liebt.
Wer mich aber liebt,
der wird von meinem Vater geliebt werden,
und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren“.

22Spricht zu ihm Judas, nicht der Iskariot:
„Herr, was bedeutet es,
daß du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?“

23Jesus antwortete und sprach zu ihm:
„Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen
und Wohnung bei ihm nehmen.
24Wer aber mich nicht liebt,
der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort,
sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.

25Das habe ich zu euch geredet,
solange ich bei euch gewesen bin.
26Aber der Tröster, der heilige Geist,
den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren
und euch an alles erinnern,
was ich euch gesagt habe.

Lasst uns beten: Herr Jesus Christus, du hast uns nicht als Waisen zurückgelassen, sondern uns deinen Heiligen Geist geschickt. Offenbare dich uns heute Morgen durch das Wort der Predigt. Öffne unsere Ohren und unser Verstehen für das, was du uns zu sagen hast. — Amen

In Christus geliebte Gemeinde!

Tote können eine sehr lebendige Gegenwart haben.

Dem dänischen Prinzen Hamlet
erscheint sein ermordeter Vater als Gespenst.
Diese Begegnung setzt die dramatischen Ereignisse in Gang,
die am Ende des Theaterstücks zu Hamlets Tod führen – 
und zum Tod jeder einzelnen Hauptfigur.

Ich glaube nicht,
dass die Welt einen doppelten Boden hat.
Das heißt aber noch lange nicht,
dass Geschichten über „Gespenster“ einfach unrealistisch sind.

Ich kenne eine Familie mit fünf Brüdern.
Sie sind aus meiner Eltern-Generation,
kurz nach dem Krieg geboren.
Ihr Vater hat jeden einzelnen seiner Söhne
nach gefallenen Kriegs-Kameraden genannt.
Diese Jungs, diese Männer, tragen jeder ein Paket,
das geschnürt wurde, lange, bevor sie geboren wurden:

  • das Paket eines Lebens, von dem sie nie ein Teil waren,
  • ein Paket von Trauer,
  • ein Paket von Erinnerungen – an ein Gefecht, eine Verwundung, an einen Tod.

Tote können aber nicht nur als belastende „Gespenster“
in unserem Leben gegenwärtig sein,
sondern sie können für unser Leben auch sehr positiv sein.

Für die Jüngeren unter uns
ist Shakespeare vielleicht weit weg,
aber ihr kennt vielleicht
„Der König der Löwen“.
Das ist auch die Geschichte von einem Prinz,
dessen Vater ermordet wird.
Eines Tages erkennt der Prinz seinen Vater im eigenen Spiegelbild
und da weiß er,
dass sein Vater weiterlebt in ihm.
Das macht ihm Mut und gibt ihm Kraft.
Er nimmt sich seinen Vater zum Vorbild
und beginnt den Kampf zu kämpfen,
der dann zum
Happy End führt. —
Bei
Disney muss es ein natürlich Happy End geben!

In unserer Kirche hat Martin Luther so eine ähnliche Rolle.
Wir nennen uns „Selbstständige evangelisch-
lutherische Kirche“.
Wir sind der Meinung,
dass Luther besonders gut auf den Punkt gebracht hat,
worum es in der Kirche geht.
Als er im Jahr 1517 seine Thesen
an der Schlosskirche zu Wittenberg angebrachte,
hat dieses Ereignis die Reformation ausgelöst.
Diese wirkt bis heute nach –
bis zu uns.
Luther ist uns ein Vorbild,
weil er mit Mut und Kraft gesagt hat,
was unseren Glauben ausmacht.
Wir hoffen, dass der Geist der Reformation
in unserer Kirche weiterlebt.

Luther hat uns auf Christus verwiesen.
Er hat uns daran erinnert,
wer Jesus Christus ist
und was er uns gelehrt hat.
Deswegen glaubt die Kirche,
dass in der Reformation der Heilige Geist gewirkt hat –
und bis heute wirkt.

Liebe Brüder und Schwestern,
im Evangelium haben wir gehört,
wie Jesus seine Jünger auf seinen Tod vorbereitet hat.
Er verspricht ihnen:

Ich lasse euch nicht als Waisen zurück.
Ich komme zu euch.

Ich meinte vorhin,
dass Tote eine sehr lebendige Gegenwart haben können.
Doch
um wie viel mehr hat der auferstandene und erhöhte Christus eine lebendige Gegenwart unter uns!

Christus spricht:

Ich lebe
und ihr sollt auch leben!

Dabei spielt Erinnerung eine große Rolle
und auch Lehre.
Jesus hatte ja gesagt,
dass uns der Geist „…alles lehren“
und uns „an alles erinnern“ wird,
was Jesus uns gesagt hat.

Erinnerungen können auch belastend sein,
wie für Hamlet oder für die fünf Brüder.
Lehre
kann blutleer und irrelevant sein,
wie eine tote „Dogmatik“,
die nichts mit dem Leben zu tun hat.

Dagegen schickt Jesus uns den Heiligen Geist,
„den Tröster, den Geist der Wahrheit“.
Was sollen wir uns darunter vorstellen?

Statt „Tröster“ könnte man auch sagen „Ermahner“.
Aber wie soll das gehen?
Einer der tröstet kann doch nicht gleichzeitig ermahnen…!

„παράκλητος“ lautet das griechische Wort,
das sowohl „Tröster“ als auch „Ermahner“ heißt.
Es besteht aus „παρá“, „neben“,
und „καλέω“, „rufen“.

Dabei stelle ich mir vor,
dass einer neben mir steht und ruft,
wie ein Trainer beim Gewichtheben.
Der steht neben dem Pumper,
ermahnt ihn und ermutigt ihn:

  • „Gib alles!“ – Ermahnung
  • „Du schaffst das!“ – Ermutigung
  • „Nicht schlapp machen,
    du willst doch im Plan bleiben…“ – Ermahnung
  • „Komm noch einen, dann ist genug…“ – Ermutigung

Wir leben unser Christenleben
mit einem göttlichen Trainer an unserer Seite,
einem, der es gut mit uns meint.

Dieser Trainer hat mehr für uns, als Worte,
die uns anleiten oder motivieren.
Dieser Trainer ist der Gott, der uns erschaffen hat.
Gott hat gesagt:

„Es werde Licht!“

Und es ward Licht. –
Gottes Wort wirkt, was es sagt.

Wenn Gott neben dir steht
und sagt: „Du schaffst das!“ – dann schaffst du das.

Wenn Jesus Christus neben dir steht und sagt:

„Liebt ihr mich,
so werdet ihr meine Gebote halten“.

Dann wirst du ihn lieben
und du wirst seine Gebote halten. —

Und was ist, wenn wir scheitern?
Unsere Erfahrung ist doch,
dass unser tägliches Leben überhaupt nicht
perfekt ist.
Selbst unsere Liebe kann sich noch gegen andere
und gegen uns selbst entwickeln –
ganz zu schweigen davon,
dass wir alle Gebote Jesu halten.
Hat uns unser Trainer dann im Stich gelassen?

Es gibt eine alte Trainer-Weisheit im Boxsport:

Du kriegst den Boxer aus dem Ghetto,
aber das Ghetto nicht aus dem Boxer.

Jahrelang trainiert der Boxer brav,
bringt seinem Manager viel Geld ein,
sagt nur die Sprüche, die ihm aufgeschrieben werden,
und plötzlich,
bamm!,
beißt er seinem Gegner ein Ohr ab
oder verprügelt den Ringrichter.
2
Zu sehr ist er geprägt von ärmlichen Verhältnissen,
von der Unterschicht,
von einem Leben als Straßenkind oder Türsteher.
Die alten Instinkte werden wieder wach,
wie der Selbsterhaltungstrieb,
Gewalt mit Gewalt zu beantworten.

Und genau wie der Boxer sind wir.
Wir sind konfrontiert worden
mit dem furchtbaren Anspruch des Gesetzes:

Du sollst Gott –über alle Dinge–
fürchten, lieben und vertrauen.

Doch wir sind auch umfangen worden mit der unendlichen Liebe Christi.

Dir sind deine Sünden vergeben.

Christus hat den vom Gesetz verhängten Fluch über die Sünder auf sich genommen
und das durch das Gesetz verhängte Urteil am Kreuz erlitten
“.3
Christus hat uns gerecht gemacht —
und trotzdem sind wir noch Sünder.

Nicht unser Trainer hat uns im Stich gelassen,
sondern der Alte Adam ist noch in uns lebendig.

Luther hat einmal gesagt,
der Alte Adam müsse jeden Tag ersäuft werden.
Das ist zwar ein ziemlich brutales Bild,
aber richtig gut daran ist,
dass es sich auf die Taufe bezieht.

Du wirst nur einmal getauft!
Doch jeden Tag kannst du dich auf die Taufe zurückbeziehen.
Christus ist einmal für die Sünden aller gestorben.
Doch jeden Tag kann es passieren, dass wir
- mit uns selbst
- mit unseren Nächsten
- und auch mit Gott
wieder ins Reine kommen müssen.
Jeden Tag darfst du dich daran erinnern,
dass du nicht mehr im Ghetto der Sünde lebst,
sondern in einer prächtigen Villa.
Und du wohnst dort nicht allein!
Christus spricht:

Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen
und Wohnung bei ihm nehmen.

Hier ist Vergebung und hier ist Frieden.
Vergebung, die wir erfahren
und die wir weitergeben an andere.
Frieden, in dem wir leben,
den wir aber auch ausstrahlen,
selbst über die Gemeinde hinaus.

Liebe Gemeinde,
ich habe heute morgen davon geredet,
wie Tote eine Präsenz
in unserem Leben haben können –
und um wie viel mehr der auferstandene Christus
in unserem Leben gegenwärtig ist
im Heiligen Geist.

Das ist der Tröster, der uns ermahnt und ermutigt
mit der Stimme Gottes, die wirkt, was sie sagt.
Auch wenn der Alte Adam noch in uns lebt,
hat Gott uns nicht im Stich gelassen.
Auf unserem Weg steht er uns bei und hilft uns,
bis wir einst vollendet werden.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!4 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Matthias Krupa und Bernd Ulrich: „Wird sie springen“. Die ZEIT 5/2016, https://www.zeit.de/2016/05/fluechtlingspolitik-angela-merkel-europa-eu.


3 Edmund Schlink: Ökumenische Dogmatik. Schriften 2, S. 444.


4 Phil 4,7