15:36

Der Weinberg Gottes
Predigt zu Mk 12,1–12

106 Reminiszere, 5. März 2023, Frankfurt

Jesus nimmt Jesajas Weinberglied und macht daraus ein Gleichnis über das Hier und Jetzt. Die Weingärtner, gerade die hauptamtlichen, kommen dabei nicht gut weg.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht im Evangelium nach Markus im 12. Kapitel:

Mt 11,27Und als Jesus im Tempel umherging,
kamen zu ihm
die Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten
28und fragten ihn:

Aus welcher Vollmacht tust du das?

12,1Und Jesus fing an,
zu ihnen in Gleichnissen zu reden:

Ein Mensch pflanzte einen Weinberg
und zog einen Zaun darum
und grub eine Kelter
und baute einen Turm
und verpachtete ihn an Weingärtner
und ging außer Landes.

2Und als die Zeit kam
sandte er einen Knecht zu den Weingärtnern,
damit er von ihnen seinen Anteil
an den Früchten des Weinbergs hole.
3Sie nahmen ihn aber,
schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

4Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht;
dem schlugen sie auf den Kopf
und schmähten ihn.

5Und er sandte noch einen andern,
den töteten sie;
und viele andere:
die einen schlugen sie,
die andern töteten sie.

6Da hatte er noch einen,
seinen geliebten Sohn;
den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich:

„Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen“.

7Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander:

Dies ist der Erbe;
kommt, lasst uns ihn töten,
so wird das Erbe unser sein!

8Und sie nahmen ihn
und töteten ihn
und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

9Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?
Er wird kommen und die Weingärtner umbringen
und den Weinberg andern geben.

10Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen:

Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.

11Vom Herrn ist das geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen?

12Und [die Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten] trachteten danach, ihn zu ergreifen,
und fürchteten sich doch vor dem Volk;
denn sie verstanden,
dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte.
Und sie ließen ihn und gingen davon.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege! — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1)Wohlan, ich will von meinem lieben Freund singen,
ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg!

„Oh prima!“ denkt sich das Publikum,
„Jesaja singt uns einen Schlager!“

Es ist ein lauer Sommerabend in Jerusalem
und man hat schnell Papiertischdecken
auf die Biertische gelegt,
einer hat eine Kiste Pils im Haus,
der nächste was zu knabbern.

„Geh mal los
und hol die Feiglinge aus der Vorratskammer!“

kommandiert der Vater den ältesten Sohn.

„Können wir nicht den Junior schicken??“

„Du bist doch hier der Junior!“

Nein, Hierarchien müssen eingehalten werden:
Der jüngere Bruder soll laufen.

„Hol mal die Feiglinge aus der Vorratskammer!“

„Feiglinge, was ist das denn?“

Der Vater erklärt:

„Das sind so kleine, durchsichtige Flaschen
mit einem lila Deckel…“

und Junior fährt fort:

„…ach der Likör,
von dem du zwei Pakete
hinter dem Tomatensaft von Mama versteckt hast?
Den hole ich gerne…“

Und noch bevor der Vater sich wundern kann,
ist der 15-jährige auch schon auf dem Weg. —

Zehn Minuten später
kommt er mit den Feiglingen unter dem Arm auf dem Hof,
aber die Stimmung hat sich total verändert.
Einige sitzen betreten auf den Bierbänken
und schauen auf den Boden.
Andere sind von ihren Plätzen aufgesprungen.
Wieder andere sind nach vorne gegangen
und schütteln ihre Fäuste gegen Jesaja.
Man hat richtig das Gefühl,
sie würden ihn verhauen,
wenn er nicht zur vornehmen Oberschicht gehören würde.

Der Vater wäre eigentlich der erste,
der dazwischen gehen würde,
aber er sitzt auf seinem Platz
und blickt finster ins Leere.

„Wir gehen“ fährt der Vater die Söhne an, „sofort“.

Auf dem Holztisch bleiben die Feiglinge
und eine offene Bierflasche einfach stehen.
Die Söhne trotten wohl oder übel hinter ihrem Vater her.

„Was war denn los?“ fragt der Jüngere.

„Weiß auch nicht so genau“,
flüstert der große Bruder,
„Jesaja hat von einem Weinberg gesungen,
aber mit dem Weinberg lief es nicht gut
und da wurde der Bauer wütend.
Und dann ging es irgendwie um Politik…“

Der Vater erklärt über seine Schulter:

„Der Weinberg ist ein Bild für das Volk.
Jesaja sagt,
das Volk taugt nicht,
wenn es sich nicht an das Gesetz hält,
wird Gott das Land der Zerstörung preisgeben.

Was meint der denn eigentlich?
Sollen etwa die Leistungsträger in der Gesellschaft
die Witwen und Weisen durchfüttern?

,Rechtsspruch – Rechtsbruch‘??2

Wir haben hier Sachzwänge.
Da ist Arbeit, die zu machen ist,
und Rechnungen, die bezahlt werden müssen.
Und dann kommt der Herr Prophet daher
und schwingt Gottesrede!

Ich will eine Religion, die mir nützt;
die dem Volk Selbstbewusstsein gibt,
statt sie zu verunsichern.

Wir richten prächtige Opfer aus,
wir feiern schöne Feste:
Das schafft Zusammenhalt
und generiert Umsatz.
Davon kann ich mir was kaufen.

Glaube?
Wenn ich Himmelsbrot zu essen kriege
und Wein trinke, der voller Leben ist,
dann glaube ich an Gott.
Aber bis dahin sehe ich zu, wo ich bleibe!“ —

Als die beiden Söhne ungefähr so alt waren,
wie ihr Vater jetzt,
saßen sie an den Wasserflüssen zu Babylon.
3
Ihr Militär war geschlagen,
ihr Land war besetzt
und sie waren entwurzelt und verschleppt.
Sie waren die Generation,
die die Worte des Propheten Jesaja aufgeschrieben haben,
um sich daran zu erinnern, was der Prophet über Gott gesagt hat. Auch das Weinberglied. —

(2) Rums!
Fast 800 Jahre später wird in Jerusalem eine Tür zugeworfen.
Der Schriftgelehrte stürmt durch den Flur ins Esszimmer.

„Sag mal, musst du die Tür so knallen?
Du weckst hier sämtliche Kinder auf
und die Tür wird sicher nicht besser davon!“

Seine Frau ist wenig begeistert von der Aktion.

„Du kannst dir nicht vorstellen,
was heute im Tempel passiert ist!“

Die Frau will gerne versuchen, sich das vorzustellen,
aber sie hat keine Lust, sich dabei anschreien zu lassen.
Sie schickt ihren Mann erst mal zum Duschen.
Der gehorcht, was soll er auch machen.
Und als er wieder ins Esszimmer kommt,
wartet schon eine Tasse Tee auf ihn.

Er setzt sich und erzählt:

„Heute war wieder dieser Jesus im Tempel
und wir wollten ihn zur Rede stellen. – 
Da erzählt er uns ein Gleichnis von einem Weinberg.
Wer glaubt er, wer er ist? Jesaja? Elisa? Moses?
Und nicht nur das,
sondern er stellt uns auch als
Diebe, Schläger und Mörder hin.

Wir!
die Ältesten des Volkes,
die Schriftgelehrten
und die Pharisäer.
Wir würden die Propheten missachten,
wir würden den Sohn Gottes töten,
wenn er zu uns käme.

So etwas muss man sich sagen lassen.
Als wäre es so leicht,
Verantwortung zu tragen
für das auserwählte Volk!“

Diesen Gesprächsfaden kennt die Frau gut:

  1. Wie schwierig alles ist,
    seit die Römer über das Land gekommen sind
    wie eine Pandemie.
    Nichts ist mehr wie früher!
  1. Dass den jungen Leuten
    der Glaube der Väter fremd geworden ist
  1. … und überhaupt:
    Es wird immer alles weniger und das Leben ist schwer.

Bevor sie sich das noch mal von Neuem anhören muss
wirft sie ein:

„Es gibt doch viele Beispiele in der Schrift,
dass das Volk die Propheten nicht gehört hat.
König Ahas hat auf Jesaja nicht gehört:

‚Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.‘4

Und erst der Wunder-Rat, Gott-Held,
Ewig-Vater, Friede-Fürst
5
wird von Gott her auf dem Thron Davids sitzen“.

Daraufhin setzt sich ihr Mann gerade hin
und der Herr Schriftgelehrte
rückt bedeutungsvoll seine Tasse zurecht.

„Siehst du, deswegen bin ich dafür,
dass Frauen in der Gemeinde schweigen
und zu Hause ihre Männer fragen,
wenn sie etwas lernen wollen.
6

Lass es mich dir erklären:
Jungfrauen kriegen keine Kinder.
Was die Worte des Propheten hier wirklich bedeuten,
erschließt sich nur den Schriftgelehrten.
Im Lichte der Schrift ist ganz klar:

  • Das Opfer ist der Weg zu Gott.
  • Der Tempel in Jerusalem wird ewig stehen.
  • Und kultische Reinheit ist für Gott das Wichtigste.
    Deswegen müssen wir uns an alles halten,
    was das Gesetz vorschreibt.

Dieses Gebäude und diese Regeln für unser Leben:
Wenn wir das haben, haben wir Gott.
Das muss so bleiben, wie es immer war.“

Sein Geschiebe mit der leeren Tasse fängt an sie zu nerven
und sie nimmt sie ihm kurzerhand weg.
Auf dem Weg in die Küche fragt sie:

„Jungfrauengeburt oder nicht:
Wenn der Menschensohn kommen würde,
wie würdet ihr ihn erkennen?“

„Jedenfalls würde ich ihn nicht erkennen
in so einem dahergelaufenen Schreiner aus Nazareth!
Was soll aus Nazareth schon Gutes kommen?“

Sie stellt einen Teller Obst auf den Tisch und sagt:

„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom Herrn her geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen.“ —

Sprachlos sitzt ihr Mann ihr gegenüber
und schaut sie mit großen Augen an.
Das hatte Jesus auch gesagt. —

(3) Liebe Gemeinde,
und insbesondere liebe Manuela,
lieber Stephan und lieber Walter,

in diesem Gottesdienst werden wir gleich
drei Menschen für den Dienst im Gemeindevorstand
der Trinitatisgemeinde einweisen und segnen.
Ihr wollt euch der Aufgabe annehmen
als Arbeiter im Weinberg des Herrn.
7

In den Lesungen heute morgen
kommen diese Weinbauern nicht gut weg.
Ich stehe ja sogar hauptamtlich im Dienst der Kirche
und ich weiß, dass ich da auch gemeint bin.

Genau wie die Weinbauern im Gleichnis
habe ich auch Dinge,
an denen ich festhalten möchte. – 
Das ist mit freundlichen Worten gesagt. – 
Man könnte auch sagen: „…Dinge, an denen ich klammere!“
Das hat seine guten und seine schlechten Seiten.

Der Eifer um dein Haus wird mich verzehren.8

Damit ist nicht Facility Management gemeint.

Die Pflege dieses Gebäudes und dieses Anwesens
ist eine wichtige Aufgabe,
genau wie die vielen anderen Aufgaben und Tätigkeiten,
die von dieser Gemeinde erbracht werden,
- von der Musik,
- der Gottesdienstgestaltung mit Lesungen und Gesang,
- das Fegen hier auf dem Hof,
- das Putzen und Aufräumen in den entlegensten Winkeln,
- Kindergottesdienst, Bibelkreis.
- und viele andere Dinge.
Dies alles ist wichtig,
weil es dem Auftrag der Gemeinde dient,
nämlich hinzugehen in alle Welt
und das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen.
Dazu hat Jesus uns gesandt
und dabei begleitet er uns bis in Ewigkeit:

Christus spricht: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage
bis an der Welt Ende“.

Er, unseren Herrn Jesus Christus,
lenke unsere Blick
und leite unsere Schritte,
jetzt und in Ewigkeit. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Jes 5,7


3 Vgl. Ps 137,1.


4 Jes 7,9b


5 Aus Jes 9,6.


6 Vgl. 1Kor 14,34f.


7 Vgl. insb. J. Ratzingers Worte nach der Papstwahl: https://www.sueddeutsche.de/politik/rom-ich-bin-nur-ein-einfacher-demuetiger-arbeiter-im-weinberg-des-herrn-1.653098


8 Vgl. Joh 2,15 nach Ps 69,10.


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Weitere Predigten zu Reminiszere:
Mit Jesus im Garten Gethsemane
Mt 26,36–46, Reminiszere

Wir begleiten die Jünger vom Passahmahl bis in den Garten und hören, was sie so denken.

Das Zeichen des Jona
3. Fassung, Mt 12,38–42, Reminiszere

Sie sind nicht moralisch „böse“, 
sondern der Ehebruch ist ein biblisches Bild 
für das gebrochene Verhältnis von Menschen und Gott. 
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