17:03

In Christus
Predigt zu Röm 12,9–16

9 2. So. n. Epiphanias, 19. Januar 2020, Bremen und Stellenfelde

Die Epiphanias-Zeit ist die Zeit, in der die Kirche die Gegenwart des Mensch-gewordenen Herren bewusst genießt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist das Wort des Apostel Paulus an die Römer, im 12. Kapitel,
das wir gerade als Lesung gehört haben.
2

Lasst uns beten:Herr, wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Unverständigen.3 Segne du alles Reden und Hören. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

die Epiphanias-Zeit ist die Zeit, in der die Kirche die Gegenwart des Mensch-gewordenen Herren bewusst genießt.

Das Kirchenjahr hat einen Spannungsbogen.
Es beginnt mit dem Advent, der Zeit der Vorfreude.
Weihnachten ist das große Ereignis da: Jesus wird geboren!
Wir nehmen uns zwei Tage,
um diesen Augenblick ganz bewusst zu erleben und zu bedenken.
Und dann folgt die Epiphanias-Zeit,
in der wir das Erlebte nachklingen lassen.

Als ich ein Junge war,
wohnte meine Oma ca. 100km von uns entfernt.
Sie kam uns ab und zu besuchen
und das war für mich als Kind ein großes Ereignis.
Ich habe mich darauf immer sehr gefreut.
Da saß ich den ganzen Tag am Fenster
und habe in jedem Augenblick gehofft,
dass ihr Auto um die Ecke kommt.
Vorfreude wie im Advent!

Und wenn sie dann kam und ihr Auto abstellte,
bin ich natürlich sofort ’runtergelaufen und habe sie begrüßt.
Dann ging sie an den Kofferraum von ihrem alten Daimler
und da waren immer Geschenke drin.
Mindestens eine große rote Dose mit selbst gebackenen Plätzchen oder Neujahrskuchen.
Das ist ein bisschen wie Weihnachten!

Dann war Oma ein paar Tage bei uns
und ich wollte natürlich so viel Zeit wie möglich
mit ihr verbringen.
Deswegen habe ich sofort, als ich aus der Schule kam,
meine Hausaufgaben gemacht.

Oder: Oma will was zu Mittagessen kochen.

„Hilfst du mir die Küche aufzuräumen?“

„Klar Oma!“

Müll ’runterbingen? Kein Thema!
Nachher den Abwasch machen?

„Gerne Oma!“

Meine Mutter kriegte große Augen.
Das Kind war wie ausgewechselt!
Die bloße Anwesenheit meiner Großmutter reichte aus,
um mir Dinge, die mich sonst nur genervt haben,
zu einer
Freude zu machen.

Liebe Gemeinde,
Jesus Christus ist mitten unter uns gegenwärtig.
Und er ist nicht zu Besuch gekommen,
sondern er ist an Weihnachten Mensch geworden,
einer von uns.
Jesus Christus ist hier bei uns.
Von Gott aus gesehen, sind wir wie ausgewechselt
und es geschieht das Wunder,
dass uns Dinge, die uns sonst nur nerven,
zu einer
Freude werden.

Alles, was Paulus am Ende seines Brief an die Römer schreibt,
steht unter dieser Überschrift:
Jesus ist in unser Leben gekommen
und hat unser Leben verändert.
Und Paulus fragt sich:

  • Was heißt denn das jetzt konkret?
  • Welche Haltungen
    und welche Verhaltensweisen
    sind einem Menschen angemessen,
    in dessen Leben Jesus Christus gekommen ist?
    4

Ich habe drei Abschnitte aus der Lesung ausgewählt,
die ich uns mit Beispielen vor Augen stellen möchte.
Alle drei beziehen sich darauf, wie wir uns als Christen untereinander verhalten.

(1) Paulus schreibt (in Vers 9):

Die Liebe sei ohne Falsch.

Die „Liebe“, die hier gemeint ist,
ist nicht romantisch oder sentimental.
Es ist eine von Gott geschenkte Liebe.
Sie ist ausgegossen in unsere Herzen.
5
Diese Liebe besteht darin,
dass Christus anwesend ist im anderen
und in dir.
Zu dem brauchen wir nichts hinzuzufügen:
Keine flauschigen Gefühle und schon gar keine Heuchelei.

Heuchelei kann manchmal sehr versteckt sein.
Wenn zum Beispiel jemand sagt:

„Machst du mir das zum Freundschaftspreis?“

Dann steckt da ja drin, dass ich nicht wirklich sein Freund bin, wenn ich ihm keinen Rabatt gebe.
Das gibt’s unter Christen auch:

„Ich bin Christ. Gibst du mir –aus Nächstenliebe– Rabatt?“

Da steckt drin, dass ich kein richtiger Christ bin,
wenn ich dem keinen Rabatt gebe.
Ich habe ja keine Nächstenliebe.
Da ist aus göttlicher Liebe ein weltliches Mittel geworden,
um bei einer Preisverhandlung Druck aufzubauen!
Da ist die Liebe Falsch, denn das ist der Versuch,
das Christ-sein des anderen auszunutzen.

Ein Freundschaftspreis ist ein Preis,
den ich meinem Freund sofort und ohne Abzüge überweise,
weil ich seine Arbeit
wertschätze.

Jemanden wertschätzen,
das hat nichts mit Heuchelei zu tun.
Das gilt auch, wenn man unterschiedlicher Meinung ist.
Liebe unter Christen bedeutet,
dass ich den anderen wertschätze,
weil ich weiß –und anerkenne–,
dass Christus für ihn gestorben ist.

Stellt euch mal vor:
Der Christ, der AfD wählt,
sieht in der christlich-linken Öko-Feministin
zuallererst Christus,
der für sie gestorben ist genau wie für ihn.
Dann können die
immer noch andere Meinungen haben über Politik. Aber sie gehören beide zu dem einen Herrn.

Der Punk, der zum Jugendkreis kommt,
sieht im Bankangestelten
zuallererst Christus.
Dann können die immer noch andere Klamotten tragen,
ihre Freizeit anders gestalten
und andere Musik hören,
aber sie gehören beide zu dem
einen Herrn.

(2) Etwas weiter, in Vers 10 schreibt Paulus:

10Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich.

„Familiär“ soll die Liebe untereinander sein.
Ich habe euch vorhin mit „Brüder und Schwestern“ angeredet,
als seien wir Blutsverwandte.
Und ja, wir zusammen reden Gott mit „Vater“ an:

„Vater unser im Himmel…“

Jesus hat uns das ausdrücklich erlaubt,
seinen Vater wie unseren Vater anzureden.
Das ist ein Privileg!
Und Gott
möchte das so.

In der Familie versteht man sich nicht mit jedem gleich gut.
Und wenn Paulus uns hier sagt,

„einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“,

dann heißt das, das wir Wege finden sollen,
trotzdem eine
gute Familie zu sein.

Es geht nicht darum, so zu tun als ob.
Der Christ, der AfD wählt,
wird zur Öko-Feministin nicht sagen:

„Ich finde deine politischen Ansichten so toll!“

Natürlich nicht. Das wäre glatt gelogen!

Der Bankangestellte wird dem Punk nicht sagen,
wie toll er seine Haare findet.
Das kommt nur als Sarkasmus ’rüber.

Aber wie wäre es, dem Gegenüber zu vermitteln:

„Schön, dass du da bist!“

Als würde man sagen:

„Ich erkenne Christus in dir.
Wenn du da bist, ist auch Christus da.
In
deiner Gegenwart bin ich in seiner Gegenwart“.

(3) Der letzte Vers unseres heutigen Predigtabschnittes lautet:

16Seid eines Sinnes untereinander.

Trachtet nicht nach hohen Dingen,
sondern haltet euch herunter zu den geringen.

Haltet euch nicht selbst für klug.

Hier ist nicht gemeint,
dass wir alle in allen Dingen einer Meinung sein müssen.
Wir müssen keine gleichgeschalteten Einheits-Christen sein.
Gott hat uns in großer Vielfalt geschaffen.
Aus dieser Vielfalt,
- aus allen Völkern,
- sozialen Schichten
- und familiären Hintergründen,
hat er Menschen erwählt zu seiner Kirche.
Und in dem, wie wir sind,
wie wir unser Leben führen
und wie wir denken und fühlen
darf sich das auch spiegeln.

In einer Sache aber, sind wir uns alle einig:
Dass Gott in Christus Mensch geworden ist,
und für uns und zu unserem Heil.
Christus ist das Zentrum,
um das wir uns als Kirche versammeln.

Und wie ist das mit den hohen Dingen und den niedrigen?
Ich habe eine Geschichte gehört von einem alten Pastor.
6
Der sollte Gottesdienst halten
in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Er ging also zur Kirche und sah einen jungen Mann.
Der hatte sich in Schale geworfen:
Er hatte einen blauen Anzug an und die Trompete aufpoliert.
Mit dem Instrument unter dem Arm ging er in Richtung Kirche.
Er wollte etwas Schönes tun:
Erhabene Musik spielen, zum Lobe Gottes!

Vor der Kirche warteten Kinder
und eines von ihnen hatte einen epileptischen Anfall.
Der junge Mann legte sofort die Trompete zur Seite
und nahm das Kind auf den Arm, um es ’reinzutragen.
Das Kind fängt an zu seibern,
auf den blauen Anzug, — aber es ist ihm egal.

Der alte Pastor meinte:
Da hätte er verstanden, was Paulus meint.
Der junge Mann hat das Erhabene zur Seite gestellt
und sich herunter gebeugt.

Christus hat sich heruntergebeugt zu uns,
deswegen sollen wir uns zu denen halten,
die in der Welt als die Geringsten gelten.
Dort ist Christus gegenwärtig,
dort können wir ihm begegnen.

(Schluss) Liebe Gemeinde,
Paulus endet unseren Abschnitt mit den Worten:

Haltet euch nicht selbst für klug.

Denn wenn wir uns für klug halten,
wenn wir unserem eigenen Sinn folgen,
dann folgen wir der Logik dieser Welt.
Und das ist nicht die Logik Gottes.

Wir dürfen nicht vergessen,
wie groß das Wunder ist,
dass wir bei all unseren Unterschieden,
- der Herkunft,
- der Meinung,
- der Lebenseinstellungen,
überhaupt Gemeinschaft haben,
hier in der Gemeinde,
hier am Altar.
Und das liegt nicht an uns,
- weil wir so aktiv sind,
- weil wir so nett zueinander sind
- oder so tolerant,
sondern das liegt daran,
dass Christus in uns gegenwärtig ist
und dieses Wunder wirkt.

Es ist wie bei dem kleinen Jungen,
der sich freut, dass seine Oma da ist,
und deswegen
gerne die Dinge macht,
die ihn sonst nerven.
So ähnlich geschehen die Dinge,
die unsere Gemeinschaft untereinander ausmachen.
Sie „fließen“ aus der
Freude,
dass Christus unter uns gegenwärtig ist.

Natürlich sind wir noch in der Welt
und unsere Gemeinschaft ist gefährdet.
Es gibt Missverständnisse, Konflikte und Streit.
Gemeinschaft ist auch Arbeit.
Aber in Christus gibt es auch Vergebung und Versöhnung.
Das Leben der Gemeinschaft fließt aus seiner Gnade.

Jetzt, in der Epiphanias-Zeit, feiern wir,
- dass Jesus an Weihnachten zu uns gekommen ist,
- und dass er uns diese Gemeinschaft schenkt.
Dieses Fest ist ein Vorgeschmack der
Freude,
die es im Himmelreich geben wird,
wenn wir gemeinsam zu Tisch sitzen werden
mit unserem Herrn Jesus Christus.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!7 Amen.

Lesung: Römerbrief, Kapitel 12

9Die Liebe sei ohne Falsch.
Haßt das Böse, hängt dem Guten an.

10Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich.
Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
11Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt.
Seid brennend im Geist.
Dient dem Herrn.

12Seid fröhlich in Hoffnung,
geduldig in Trübsal,
beharrlich im Gebet.

13Nehmt euch der Nöte der Heiligen an.
Übt Gastfreundschaft.

14Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht.

15Freut euch mit den Fröhlichen
und weint mit den Weinenden.

16Seid eines Sinnes untereinander.

Trachtet nicht nach hohen Dingen,
sondern haltet euch herunter zu den geringen.

Haltet euch nicht selbst für klug.

Diese Predigt ist meine „Examenspredigt“ und hatte schon zwei Einsätze: In Görlitz (im Beisein von Andrea Grünhagen als Vertreterin der Prüfungskommission) und in Klitten, beides im Frühjahr 2019.

1 1.Kor 1,3


2 Eine Kopie des Preigttextes findet sich am Schluss des Manuskriptes.


3 Ps 119,130


4 Der in Christus ist und Christus in ihm, vgl. Joh 14,20.


5 Vgl. Röm 5,5.


6 Nach Haag, 122.


7 Phil 4,7