15:24

Gesetz, Gestalt, Geist
Predigt zu Röm 8,1–11

87 Pfingstsonntag, 5. Juni 2022, Frankfurt

„Nimm hin den Heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten von der gnädigen Hand Gottes“. – Das soll die Konfis fest machen im Glauben und weitertragen in der Welt bis zum Himmelreich.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Römer
im 8. Kapitel.
Der Apostel schreibt:

8,1So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.
2Denn das Gesetz des Geistes,
der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht
von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

3Denn was dem Gesetz unmöglich war,
weil es durch das Fleisch geschwächt war,
das tat Gott:
er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches
– und um der Sünde willen –
und verdammte die Sünde im Fleisch,
4damit die Gerechtigkeit,
– vom Gesetz gefordert –,
in uns erfüllt würde, —
die wir nun nicht nach dem Fleisch leben,
sondern nach dem Geist.

[…]

10Wenn aber Christus in euch ist,
so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.
11Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,
in euch wohnt,
so wird er,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
auch eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Lasst uns beten: Herr Jesus, du hast uns versprochen, dass der Heilige Geist uns alles lehrt und uns an alles erinnert, was du gesagt hast. Wir bitten dich: Mach dieses Versprechen wahr und sprich uns an durch das Wort der Predigt. — Amen

Liebe Lea und liebe Alicia,
lieber Nils und lieber Lino,
liebe Festgemeinde,

bei der Vorbereitung dieser Predigt
habe ich Evangelium erfahren –
und zwar aus den Worten des Kommentars.
Dieser bemerkte nämlich zu Vers 3:

Der Satzbau ist schwierig.2

Ich hatte nämlich an meinem Griechisch gezweifelt!
Da hat es mich sehr beruhigt,
dass es dem berühmten Neutestamentler,
der dieses Werk verfasst hat,
auch schon so ging.

Paulus’ Brief wäre

„vor lauter Bestreben,
möglichst alles
und genau
– zu sagen –,
recht unverständlich geworden“.
3

Das haben schon viele so empfunden
und viele haben laut darüber nachgedacht,
was Paulus’ Worte für sie bedeuten.

Dazu würde ich sagen:
Paulus hat alles richtig gemacht!

Er hat Menschen angeregt,
sich auseinanderzusetzen;
und sie haben das Wunder erlebt,
dass der Heilige Geist sie darin angesprochen hat.
Deswegen steht dieser Brief in der Bibel
und deswegen ist er heute Morgen
Grundlage für die Predigt.

Mit dieser Predigt möchte ich
zuerst unsere vier Konfis ansprechen.

Sie machen heute mit die ersten Schritte
als erwachsene Leute.
Sie werden gefragt
und antworten für sich selbst.

Ich hoffe aber,
dass sich die Predigt auch für diejenigen von uns lohnt,
die es schon eine Weile lang probieren
mit dem Erwachsen-Sein.

Ich habe für das Folgende drei Überschriften gewählt:
„Gesetz“, „Gestalt“ und „Geist“.

(1) Gesetz

Paulus schreibt:

Denn das Gesetz des Geistes,
der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht
von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Das Gesetz könne nämlich nicht helfen,
meint Paulus weiter,
denn es sei durch das „Fleisch“ geschwächt.

Der Apostel Paulus ist als Pharisäer aufgewachsen.
Wenn er „Gesetz“ sagt,
meint er die Torah.
Das sind die fünf Bücher Mose,
in denen auch die Zehn Gebote stehen.
Dieses Gesetz ist für Paulus ein Geschenk Gottes.
Die Torah hat für ihn himmlischen Ursprung.
Und trotzdem ist sie geschwächt
und kann ihre eigentliche Aufgabe nicht erfüllen.

(1.1)
Wir Menschen sind nämlich blind.
Wir machen uns unsere eigenen Gesetze:

  • das Gesetzt des Marktes, zum Beispiel,
    dass du deine Zeit und deine Talente
    an den Höchstbietenden verkaufen musst,
  • oder das Gesetz der Ansehens,
    dass du eine dicke Schicht Make-Up
    oder ein dickes Auto brauchst,
    um dazuzugehören,
  • oder das Gesetz des guten Benehmens,
    das behauptet,
    du müsstest immer nett sein,
    egal, wie andere dich behandeln.

Manche von dieses Gesetzten sind so selbstverständliche,
dass wir sie nie hinterfragen.
Im Grunde tun wir so,
als kämen diese Gesetzte vom Himmel.

Auf diese Weise machen wir Gottes Gesetz schwach
und es kann uns nicht mehr helfen.

(1.2) Wenn wir in diesem Lärm der Welt
trotzdem das „Gesetz und die Propheten“ hören,
können wir nur verzweifeln:

Du sollst den Herrn,
deinen Gott,
lieben
von ganzem Herzen,
von ganzer Seele
und von ganzem Gemüt.

Du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst.
4

Aber wie soll ich denn das tun?
Der erste Teil geht so leicht unter in religiösem Schmalz:
- in die Kirche gehen,
- die richtigen Antworten geben,
- ein braves Mädchen sein oder ein braver Junge.
Ist es das,
was Gott von mir will?

Wie kann ich sicher sein,
dass ich es richtig mache?

Meinen Nächsten soll ich lieben wie mich selbst?
Was ist, wenn mein Nächster gar nicht liebenswert ist?
Was ist, wenn die Beziehung zu meinem Nächsten
mich so viel kostet,
dass ich bankrott gehe,
- finanziell,
- seelisch,
- körperlich?

Wie kann ich als Mensch – hier in der Welt –
dieses Gesetz einhalten? — Es geht gar nicht!

Das bringt mich zum zweiten Gedanken:
(2) Gestalt.

Paulus schreibt:

3Denn was dem Gesetz unmöglich war,
weil es durch das Fleisch geschwächt war,
das tat Gott:
er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches
– und um der Sünde willen –
und verdammte die Sünde im Fleisch,
4damit die Gerechtigkeit,
– vom Gesetz gefordert –,
in uns erfüllt würde.

Verstanden?

„Der Satzbau ist schwierig“.

Schlüsselbegriff ist das Wort „Gestalt“.
Hier bringt Paulus die Grundüberzeugung zum Ausdruck,
dass Jesus Christus
- wahrer Mensch
- und wahrer Gott ist —
und dass das mit uns etwas macht.

Liebe Konfis,
vielleicht kennt ihr das:
Eure Großeltern haben von euren Eltern
Kinder-Videos aufgenommen.
In den 90er-Jahren war
Home-Video ganz groß.
Damals gab es ein System,
das hieß „VHS“.
Das sind diese große Kassetten.

Wenn man das heute an einen Fernseher anschließen will,
geht das gar nicht.
Selbst, wenn man ein Abspielgerät hat,
hat das hinten einen Scart-Anschluss:
ein riesiger Stecker
mit unglaublich vielen, riesigen Anschlüssen,
oder man braucht eine Kabelpeitsche
(das klingt schon gefährlich)
mit drei Steckern für Rot, Schwarz und Gelb.

VHS ist analog
und moderne Fernseher sind digital.

Und selbst wenn man einen Adapter hat,
der das konvertiert,
ist das Bild von der VHS-Kassette
auf einem modernen 4K-Fernseher
so groß wie eine Briefmarke.

Ein modernen Fernseher,
der hat Millionen von Pixeln
und zig Audio-Kanäle,
jeder einzelne so gut,
wie eine CD
für die in den 90er Jahren alle ihre Tonbandgeräte weggeschmissen haben.

Man kann das Bild vergrößert,
aber es sieht trotzdem nicht gut aus.
Das analoge Signal hat jede Menge Störungen
und überhaupt:
Es ist gar nicht genug Information da,
um einen modernen Fernseher anständig auszufüllen. —

Wenn Paulus „Fleisch sagt,
meint er etwas ganz Ähnliches:

Wenn du ein Video-Signal wärst, wärst du analog.
Du bist nicht kompatibel mit Gottes himmlischer Herrlichkeit.

Und da hilft auch das Gesetzt nicht,
sondern es ist zu schwach.
Selbst wenn es dich digital macht,
siehst du nicht gut aus.
Du passt einfach nicht zwischen die Ultra HD Blu Rays
und die 4K Streaming.

Doch was das Gesetzt nicht schafft,
dafür ist Jesus in die Welt gekommen.

6Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt „nicht geizig daran fest“,
5
Gott gleich zu sein,
7sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
6

Jesus ist ganz analog
und ganz digital.

Und weil er der lebendige Gott ist,
– der dich geschaffen hat, –
ist er mehr als ein Adapter.
Jesus macht dich neu.

Die Kinderfilme von euren Eltern,
die hat ja irgendwann mal eine Kamera aufgenommen.
In den 90ern konnte man nur so aufnehmen:
analog und mit Fehlern.

Aber die Wirklichkeit,
die sie aufgenommen hat,
hat ja stattgefunden.

Übertragen auf uns bedeutet das:
Wir sind „fleischlich“
wir machen Fehler,
ja sind wir sind ganz und gar Sünder.
Aber die Wirklichkeit von Gottes Schöpfung
hat die Sünde nicht verderben können.
7

Jesus ist der Mittler zwischen Mensch und Gott:
Wenn Gott durch Jesus auf dich schaut,
bist du nicht mehr analog,
sondern er sieht den Menschen,
den er in dir geschaffen hat,
weil seine eigene Schöpfermacht
ganz in Jesus vorhanden ist.
8

Wenn Gott auf dich schaut
sieht er dich in HD,
nicht in 4K,
nicht mal in Kino-Qualität – 
sondern er sieht dich in echt – 
so, wie er dich gemacht hat,
so, wie du wirklich bist.

Diese Wirklichkeit ist in deinem Leben gegenwärtig.
Das bringt mich zur letzten Überschrift:
(3) Geist.

10Wenn aber Christus in euch ist,
so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.
11[… Der, ]der Christus von den Toten auferweckt hat,
[wird auch] eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Geist und Fleisch,
Leben und Tot:
Paulus arbeitet mit Gegensätzen.
Luther hat mal zusammengefasst,
der Christenmensch sei Sünder und gerechtfertigt zugleich.

Und es stimmt:

  • Auch wenn wir durch die Taufe mit Jesus verbunden sind,
  • und selbst,
    wenn wir im Glauben konfirmiert sind
    und uns sehr bemühen:

Hier in der Welt sind wir nach wie vor analog.
Wir sind nicht perfekt
und haben viele Fehler.

Aber Gott lässt uns in dieser Situation nicht allein.
Er ist bei uns,
im Heiligen Geist.
Jesus sagt,
der Heilige Geist wird uns alles lehren
und uns an alles erinnern,
was Jesus uns gelehrt hat.
Und dann sagt Jesus:

Frieden lasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch.
9

Im Heiligen Geist haben Frieden mit Gott
und untereinander.

  • Er schenkt uns Leben,
    damit wir über uns hinauswachsen
    und den Anspruch des Gesetzes mehr und mehr erfüllen.
  • Der Geist schenkt uns gute Gedanken,
    damit wir den richtigen Weg finden.
  • Und der Heilige Geist führt uns immer wieder zu Jesus,
    damit wir aus seiner Vergebung leben können,
    wenn wir am Gesetz scheitern
    und neu gestaltet werden müssen.

Dieses Geschenk haben wir bei unserer Taufe erhalten.
Wenn wir gleich die Konfis
unter Handauflegung
daran erinnern,
dann wollen wir,
dass sie mit diesem Proviant
ihren Weg als Erwachsene beginnen:

Nimm hin den Heiligen Geist,
Schutz und Schirm vor allem Bösen,
Stärke und Hilfe zu allem Guten
von der gnädigen Hand Gottes.

Das soll sie fest machen im Glauben
und weitertragen in der Welt
bis zum Himmelreich.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!10 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 U. Wilckens: „Der Brief an die Römer“. EKK Studienausgabe, 2010, zu Vers 8,3, S. 124.


3 Wilckens zitiert Schlier, ebd., Fußnote 498.


4 Nach Mt 22,37–39 par.


5 Luther 1984: „hielt es nicht für einen Raub“.


6 Nach Phil 2,6–7.


7 Vgl. FC 1, BSELK 1220ff.


8 Vgl. Joh 1,3.


9 ELKG² 44, Evangelium.


10 Phil 4,7