17:02

Zur Rechten und zur Linken
Predigt zu Mk 10,35–45

82 Judika, 3. April 2022, Frankfurt

Johanes und Jakobus bitten Jesus einen Ehrenplatz in seiner Nähe.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Diese Predigt legt das Evangelium aus,
das wir gerade als Lesung gehört haben.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

Jakobus und Johannes sind Jesus’ älteste Freunde.
Diese beiden und Petrus hat er mitgenommen auf den Berg,
wo er verklärt wurde.
Petrus, Jakobus und Johannes waren die drei Jünger,
die Jesus im Garten Gethsemane zur Seite genommen hat
und ihnen gesagt hat:

Wachet und betet…

Die beiden Brüder kommen zu ihm – 
und etwas umständlich bitten sie ihn:

Wir möchten gerne,
dass du für uns tust,
worum wir dich bitten…

…dass der eine zur Rechten
und der andere zur Linken von dir sitzen wird
in deiner Herrlichkeit.

Wie wird wohl der Ausdruck auf Jesus’ Gesicht gewesen sein,
als er ihnen sagte:

„Ihr wisst nicht,
worum ihr bittet“?

Natürlich wissen sie das nicht.
Jesus hatte sein Leiden und Sterben
den Jüngern gegenüber
mehrmals angesprochen.
Aber das ist an ihnen vorbei gegangen,
wie solche Worte und Bilder an einem Menschen vorbei gehen.
Man will sich das nicht vorstellen.

Wenn man in den Kindergarten geht,
weiß man noch nicht, was es heißt,
jeden Morgen zur Schule zu gehen.

Wenn man in die Schule geht,
weiß man noch nicht, was es heißt,
jeden Morgen zur Arbeit zu gehen.

An seinem 18. Geburtstag wissen die wenigsten,
was es heißt,
erwachsen zu sein.

Jesus hat es seinen Jüngern gesagt:

Der Menschensohn wird überantwortet werden
in die Hände der Menschen,
und sie werden ihn töten;
und wenn er getötet ist,
so wird er nach drei Tagen auferstehen.

Und der Evangelist Markus fährt fort:

Die Jünger aber verstanden das Wort nicht
und fürchteten sich, ihn zu fragen.
3

Natürlich.
Ich hätte mich auch gefürchtet.

Aber gerade in dieser Furcht
kommen Jakobus und Johannes zu Jesus und sagen:

Wenn du verherrlicht wirst,
wollen wir an deiner Seite sein,
einer rechts und einer links!

Es ging ihnen sicher auch darum,
einen Ehrenplatz haben zu wollen.
Sie sind Jesus’ älteste Freunde.
Vielleicht fühlen sie sich deswegen als besondere Jünger.

Aber die beiden wollen auch einfach bei Jesus sein,
wenn es schwer wird.
Sie wollen ihn nicht im Stich lassen.
Sie möchten Jesus helfen, wenn er die Welt rettet.

Da gehen natürlich sofort die Alarmglocken los
bei der lutherischen Theologie:
Wenn der Mensch mitmachen will
beim Werk Gottes:
Das ist Werkgerechtigkeit!
Der Mensch aber ist passiv.
Allein Jesus rettet!

Warum ist das eigentlich so wichtig?

Die lutherische Theologie ist deshalb so empfindlich,
weil die Frage nach der sog. „Werkgerechtigkeit“
zur Zeit der Reformation virulent war.
Luther bekämpfte eine fehlgeleitete Frömmigkeit:

Deine Werke – 
- Wallfahrten,
- Ablass,
- Winkelmessen,
- Mönchsgelübte.

Für die Menschen damals war es eine große Befreiung zu hören:
Jesus allein rettet.
Du musst nichts beitragen,
auch nicht ein bisschen.

Mich erreichen heute auch Impulse,
wo ich ein bisschen mithelfen soll,
die Welt zu retten:

  1. Wer mit dem Fahrrad fährt,
    rettet das Klima.
  1. Wer sich vegetarisch ernährt,
    rettet die Schweine.
  1. Wer keine Milchprodukte kauft,
    rettet die Kühe vor der Milchproduktion.
    …dass dann in Brasilien Regenwald abgeholzt wird,
    um das Soja für die Ersatzstoffe zu ziehen,
    ist ein anderes Thema – 
    aber immerhin!

Es gibt den ein oder anderen Frommen,
der hier Konkurrenz für die Kirche sieht.
Die jungen Menschen sollten nicht Greta Thunberg nachlaufen,
bei
Fridays for Future,
sondern lieber Jesus nachfolgen,
am Sonntag Morgen in der Kirche
und zum „Marsch für das Leben“.

Da steht vielleicht auch ein bisschen Neid dahinter:

Wir hätten auch gerne so viel Aufmerksamkeit
wie Greta.
Wir wären gerne so relevant
oder angesagt.

Manche wollen den anderen Weg gehen.
Sie sagen:

Die Kirche sollte sich an genau diese Themen anschließen!

  • Wir machen bei der Umweltbewegung mit!
  • Wir schicken ein Schiff,
    um Menschen aus dem Mittelmeer zu ziehen!
  • Wir machen sofort Räume klar,
    um Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen!

Kirche ist Diakonie:
Wir leisten unseren Mitmenschen einen Dienst.

Nun versteht mich nicht falsch:
Selbstverständlich kann man fragen,
ob wir es richtig machen.
Wir sitzen hier im Gottesdienst,
ich versuch’ es nochmal mit einer Predigt,
ihr hört mir zu.
Danach haben wir eine Gemeindeversammlung.
Die Tagesordnung klingt wie die Hauptversammlung
vom Kaninchenzüchterverein:
„Kassenbericht“, „Kassenprüfung“, „Prognose“, „Sachstand“ – 
das übliche „Klein-klein“.
Der Laden muss laufen.

Und ich nehme mich da nicht etwa raus:

„Prognose Allgemeine Kirchenkasse 2023“

Das interessiert mich.
Da geht es um mein Gehalt!

- Der Amazonas wird abgeholzt,
- die Korallenriffe bleichen,
- Menschen ertrinken im Mittelmeer,
- die Russen schießen auf Wohngebiete,
- die Ukrainer schießen mit Panzerfäusten zurück.
Das tun sie sehr erfolgreich.
Ein russischer Kampfpanzer hat drei Mann Besatzung:
Kommandant, Fahrer, Richtschütze.
Die meisten sind Wehrdienstleistende.

Nichts davon kommt vor;
nicht mal unter TOP 3 „Verschiedenes“.

Das alles führt mich zu der Frage:
Was haben wir der Welt zu sagen,
was sich die Welt nicht selber sagen kann?

Tun wir etwas als Kirche,
das andere nicht besser
und medienwirksamer neben uns tun?

Was haben wir zu sagen?

Also hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen eingeborenen Sohn gab,
damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben.
4

Du bist ein geliebtes Kind Gottes
und Gott hat alles für dich gegeben.
Das bist du ihm wert.
Darauf kannst du dich verlassen
und Gott will,
dass du über das Hier und Jetzt,
über das Klein-klein der Welt hinaus
ihn liebst
und ihm vertraust.

Jesus sagt zu Jakobus und Johannes:

Ihr werdet zwar den Kelch trinken,
den ich trinke,
und getauft werden mit der Taufe,
mit der ich getauft werde.

Es mag sein,
dass die beiden Apostel
den Märtyrertod gefunden haben.
Vielleicht ist es das, was Jesus ihnen sagen will.

Aber auch für uns gilt das auf seine Weise.
In Christus ist Gott ein Mensch geworden,
wie unser Bruder.
Er hat uns angenommen
und indem er ans Kreuz gegangen ist,
sind wir ans Kreuz gegangen.
Indem er gestorben ist,
sind wir gestorben
und mit ihm auferstanden.

Wir sind frei.

Paulus schreibt:

5Denn wenn wir mit ihm verbunden
und ihm gleichgeworden sind in seinem Tod,
so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein…
7Wer gestorben ist,
der ist frei geworden von der Sünde.

8Sind wir aber mit Christus gestorben,
so glauben wir,
dass wir auch mit ihm leben werden.
5

Das Klein-klein der Welt ist notwendig:
Die Liegenschaft muss erhalten werden,
der Pastor muss bezahlt werden.

Das alles hat seinen Ort,
aber du bist frei.
Du bist frei zu sagen:

Meine Zeit ist heute in der Flüchtlingshilfe besser investiert.

Mensch und Umwelt müssen viele Herausforderungen bestehen.
Du bist frei,
dich da einzubringen,
wo deine moralische Überzeugung dich hinführt.

Egal, was du tust,
denk daran,
dass du ein geliebtes Kind Gottes bist.

Ob du gewinnst oder verlierst,
ob du Erfolg hast, oder scheiterst:
Gott liebt dich so oder so.
Als ein befreiter Mensch
bringst du dich ein
und machst, was du für richtig hältst,
denn die Last, die Welt zu retten,
liegt nicht auf deinen Schultern.

Du bist gestorben und auferstanden.

  • Was dich von Gott trennt,
    gehört in die Vergangenheit,
  • was dich von deinem Nächsten trennt,
    ist im Grunde schon überwunden,
  • was dich von dir selber trennt,
    ist im Grab geblieben.

Als ein befreiter Mensch
führst du deine Beziehungen.
Du brauchst dich nicht selbst rechtfertigen.
Du bist gerechtfertigt.
Wir sind alle Menschen und machen Fehler.

Gott, sei mir Sünder gnädig.

Herr, erbarme dich – 

der Herr hat sich seiner erbarmt.

Du kannst umgehen mit deinen Fehlern und Problemen,
denn die Liebe Gottes für dich
steht nie in Frage.
Dein Wert seht nie in Frage,
selbst, wenn du versagst.

Ein Kind,
das solche Liebe kennt,
geht ganz anders ins Leben,
als ein Kind,
das ständig Leistung zeigen muss.

Du bist so ein Kind.
Du bist ein Kind Gottes.

  • Das ist, was die Kirche zu sagen hat.
    Das Evangelium ist ihr Zeugnis.
  • Das ist, was sie feiert im Gottesdienst
  • und was unsere Gemeinschaft ausmacht.
  • Das ist, was die Diakonie antreibt.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

PredigtabschnittMk 10,35–45

35Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes,
die Söhne des Zebedäus,
und sprachen:

Meister, wir wollen,
dass du für uns tust,
um was wir dich bitten werden.

36Er sprach zu ihnen:

Was wollt ihr, dass ich für euch tue?

37Sie sprachen zu ihm:

Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten
und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.

38Jesus aber sprach zu ihnen:

Ihr wisst nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke,
oder euch taufen lassen mit der Taufe,
mit der ich getauft werde?

39Sie sprachen zu ihm:

Ja, das können wir.

Jesus aber sprach zu ihnen:

Ihr werdet zwar den Kelch trinken,
den ich trinke,
und getauft werden mit der Taufe,
mit der ich getauft werde;
40zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben,
sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

41Und als das die Zehn hörten,
wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen:

Ihr wisst,
die als Herrscher gelten,
halten ihre Völker nieder,
und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43Aber so ist es unter euch nicht;
sondern wer groß sein will unter euch,
der soll euer Diener sein;
44und wer unter euch der Erste sein will,
der soll aller Knecht sein.

45Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene
und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Mk 9,31f


4 Joh 3,16


5 Röm 6,5–8


6 Phil 4,7