17:24

Gottes Handeln in der Welt
Predigt zu Jes 51,9–16

77 Zur Gemeindeversammlung Frühjahr 2022 4. So. v. Pass., 6. Februar 2022, Frankfurt

Alles wird weniger, alle werden älter, doch in Gottes Wort begegnet uns das Schöpfung und Neuschöpfung.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

In dieser Predigt lege ich einen Abschnitt aus dem 51. Kapitel des Buches Jesaja aus. Dies ist die Lesung aus dem Alten Testament für den heutigen Sonntag. Ich werde das Prophetenwort abschnittsweise vortragen und uns auslegen.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Gemeinde,
(1) so spricht der Prophet Jesaja im 51. Kapitel seines Buches:

9Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des Herrn!
Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt!

Warst du es nicht,
der Rahab zerhauen und den Drachen durchbohrt hat?
10Warst du es nicht,
der das Meer austrocknete, die Wasser der großen Tiefe,
der den Grund des Meeres zum Wege machte,
dass die Erlösten hindurchgingen?

11So werden die Erlösten des Herrn heimkehren
und nach Zion kommen mit Jauchzen,
und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein.
Wonne und Freude werden sie ergreifen,
aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.

Ich bin beeindruckt, wie Jesaja betet.
Er traut sich,
von Gott wirklich etwas zu erwarten,
ja regelrecht zu fordern.

Der Prophet will aber nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.
Deswegen redet er den „Arm des Herrn“ an.

Lass die Hände zappeln!

rief mein Vater mir früher regelmäßig zu.
Er meinte natürlich,
der ganze Diedrich solle nicht trödeln bei der Arbeit.

Zieh Macht an, du Arm des Herrn!

Jesaja will,
dass Gott in der Welt handelt
und seine Macht unter Beweis stellt.

Jesaja sitzt mit seinen Landsleuten in Babylon im Exil.
Sie sind weit weg von zu Hause
und ihre Arbeit kommt den Feinden zugute,
statt der eigenen Sippe
und dem eigenen Land.

Die Kinder der Israeliten wachsen in einer fremdem Kultur auf.
Einer Kultur, die den Glauben an Gott nicht kennt.
Die Babylonier haben viele Götter;
ihre Gottesdienste sind attraktiv.
Die beliebten Kids aus der Schule gehen da hin.
Die israelitischen Jugendliche wollen gerne mitgehen.

Den Glauben ihrer Eltern verstehen sie nicht:

Der Gott Israels?
Ist der hier in Babylon überhaupt zuständig?

Abgesehen davon ist es ein Looser-Gott!
Die Babylonier haben den Krieg gewonnen.
Da sieht man doch,
dass ihre Götter stärker sind als unserer.

Warum hängt ihr diesem altmodischen Zeug hinterher?

Kommt euch das bekannt vor?

Ich bin sicher,
dass einige von euch solche Gespräche führen –
oder sich gut daran erinnern,
dass sie sie mit ihren Eltern geführt haben.

Die christlichen Kirchen haben in den letzten Jahrzehnten
ihre Rolle als „Leitreligion“ der „Leitkultur“ verloren.

  • Es ist lange nicht mehr selbstverständlich,
    dass junge Gemeindeglieder noch zur Kirche gehen.
  • Es ist lange nicht mehr Pflicht,
    dass man jemanden heiratet,
    der auch aus der SELK ist.
  • Die Kirche ist lange nicht mehr so wichtig,
    dass man den Sonntag Morgen zum Gottesdienst geht.
    Da hat man frei.
  • Die Menschen,
    die in den Gottesdienst kommen,
    sind im Schnitt immer älter.
  • Die Gruppen im Kindergottesdienst
    und die Konfirmanden-Jahrgänge sind kleiner –
    oder gar nicht mehr vorhanden.

Deswegen wendet sich Jesaja so dringend an Gott.

Daraufhin scheint es,
als gebe ihm Gott zwei Gedanken ins Herz:
Schöpfung und Neuanfang.

Warst du es nicht,
der die Chaosmächte gebändigt hat?
Warst du es nicht,
der das Meer austrocknete,
dass die Erlösten hindurchgingen?

„Ja“, sagt Gott, „ja, das war ich!“

Ich habe die Welt erschaffen,
nicht die Babylonischen Götter.
Und ich habe Israel aus Ägypten geführt.
Ich habe einen Neuanfang mit ihnen gemacht
und ihnen das gelobten Land geschenkt.

In Jesajas Verzweiflung hinein
schenkt Gott dem Propheten neuen Glauben.

Dieser Glaube ist nicht nur für ihn privat,
sondern er ist auch für alle,
die den Propheten reden hören.
Jesajas Glaube hat junge Menschen angesteckt.
Sie haben ihn angenommen und weitergetragen.

Wie wichtig ihnen dieser Glaube war,
sehen wir daran, dass sie das aufgeschrieben haben.
Nach über 2.000 Jahren können wir noch lesen,
was Jesaja gesagt hat.

Viele Generationen nach ihrem Exil
sind wir
- aus einem anderen Volk,
- in einem anderen Erdteil
- und in unserem ganz eigenen „Babylon“.
Doch wie Jesaja und seine Jünger
bekennen wir uns zu Gott als unserem Schöpfer:

Ich glaube an Gott, den allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde…

Wir antworten damit auf Gottes Wort und sagen:

Ja, ich glaube daran,
dass Gott den Anfang gemacht hat.
Er kann einen Neuanfang mit uns machen – jederzeit!

Diese Gemeinde und diese Kirche:
Gott will sie noch einmal ganz neu machen.
Er will ihr Kraft und Zukunft schenken.

(2) Das Buch Jesaja fährt folgendermaßen fort:

12Ich, ich bin euer Tröster!

Wer bist du denn,
dass du dich vor Menschen gefürchtet hast,
die doch sterben,
und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen,
13und hast des Herrn vergessen,
der dich gemacht hat,
der den Himmel ausgebreitet
und die Erde gegründet hat,
und hast dich ständig gefürchtet –
den ganzen Tag vor dem Grimm des Bedrängers,
als er sich vornahm, dich zu verderben?
Wo ist nun der Grimm des Bedrängers?

14Der Gefangene wird eilends losgegeben,
dass er nicht sterbe und begraben werde
und dass er keinen Mangel an Brot habe.

Gott antwortet dem Propheten
und er antwortet uns:

Was seid ihr so furchtsam?
Habt ihr noch keinen Glauben?
3

Das sind Jesu Worte an seine Jünger.
Sie waren in Todesnot
und Jesus hat mit seinem Wort den Sturm gestillt.

Jesus zeigt ihnen deutlich,
dass er größer ist,
als die Naturmächte.
Gott überblickt Raum und Zeit
ganz anders, als wir es tun.
Ein Menschenleben ist kurz.
Wir vergehen wie Gras.

Die Bibel beschreibt,
dass Israeliten aus dem Babylonischen Exil
nach Hause zurückgekehrt sind.
Die Verheißung ist in Erfüllung gegangen:
Die Erlösten sind mit Jauchzen und Freude
in Jerusalem eingezogen!

Doch wenn man genau hinsieht,
ist die Geschichte viel komplizierter.

  • Es ist nie wieder so geworden,
    wie es früher einmal war.
  • Einige sind zurückgekehrt, natürlich.
  • Andere sind im Ausland geblieben.
    Sie haben dort,
    in der Diaspora,
    neue Formen für den Glauben gefunden:
    Formen ohne Tieropfer auf dem Zion,
    Formen, die das Wort Gottes in den Mittelpunkt stellen.

Der Gottesdienst der Synagoge heute –
und auch der Gottesdienst,
den wir gerade feiern, –
ist ein Nachfahre
dieser Entwicklung.

Neue Generationen haben eine neue Sprache gefunden.
Nur so hat der Glaube an Gott bis heute fortbestanden.

Die Konstante in alledem

  • sind nicht die Menschen,
    die geglaubt haben,
  • oder die Art,
    wie sie ihren Glauben gelebt haben.
  • Von Dauer sind auch nicht die Orte und die Gebäude.

Die Konstante ist Gott.

Ich, ich bin euer Tröster!

spricht der Herr.

Ich bin der einzige, auf den ihr euch verlassen sollt.
Ich bin der einzige, auf den ihr euch verlassen
könnt,
denn alles andere
- ist beweglich
- und vergänglich.

Wenn wir in die Zukunft schauen,
kann es schnell so aussehen:

Alle werden älter.
Alles verändert sich.
Alles wird weniger.

Wir sind nicht die ersten, denen es so vorkommt.

Für Jesaja und seine Zeitgenossen
war absolut nicht klar,
ob der Glaube an den Gott Israels
die nächste Generation noch erfassen würde.
Doch sie haben auf Gottes Versprechen hin geglaubt.

Gottes Zusage ist wahr geworden;
ganz anders,
als sie es erwartet haben –
ganz anders,
als sie sich hätten wünschen können.

(3) Der Schlüssel dazu ist Gottes Wort:

15Ich bin der Herrn, dein Gott,
der das Meer erregt, dass seine Wellen wüten
– sein Name heißt
Herr Zebaoth –;
16ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt
und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen,
auf dass ich den Himmel von neuem ausbreite
und die Erde gründe
und zu Zion spreche:
Du bist mein Volk.

Gottes Schöpfermacht ist nicht aufgebraucht
oder abgestorben.
Gott wird einen neuen Himmel
und eine neue Erde schaffen.
Man wird der vorherigen nicht mehr gedenken
und sie nicht zu Herzen nehmen.
4

Diese neue Energie,
der Kern der neuen Schöpfung,
ist schon unter uns gegenwärtig in Gottes Wort.
Gott arbeitet schon an uns
mit diesem Werkzeug –
jetzt, hier, zu dieser Stunde,
an uns, die wir hier zusammen sind.

Das ist meine Hoffnung und meine Zuversicht.

Ich gehe gerade daran,
meinen Dienst in dieser Kirche zu beginnen.
Ich bin gerade mal fünf Jahre Angestellter der Kirche.
Vier-ein-halb Jahre davon war ich in Ausbildung.

In dieser Zeit hatte ich hauptsächlich mit den Gemeinden Görlitz, Bremen und Frankfurt zu tun.

  • Die Görlitzer Gemeinde wird nach Gert Kelter keinen Pfarrer mehr bekommen.
  • Bremen hat mit Brunnsbrock und Stellenfelde einen gemeinsamen Pfarrbezirk gebildet –
    mit einem einzigen Pfarrer.
  • Für Frankfurt steht an zu entscheiden,
    ob das zweite Pfarramt aufgegeben wird.

Die Gemeinden haben eine große Bedeutung
für die SELKies aus Görlitz, Bremen und Frankfurt.
Sie haben viel Arbeit, Mühe und auch Geld investiert.
Sie haben Gebäude gebaut und gepflegt.
Sie stecken ihre knappe Freizeit in die Gestaltung von Gottesdiensten, Festen und Musik.

Trotzdem erleben sie,
dass alles weniger wird.
Die Aktiven werden älter.
Die jungen Leute werden weniger oder sind gar nicht zu sehen.

Trotzdem habe ich Hoffnung für meine Kirche
und Zuversicht, dass meine Arbeit sinnvoll ist.

Gott sagt zu uns als Kirche,
als Gemeinde
und als einzelnem Christenmenschen:

Ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt
und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen,
auf dass ich den Himmel von neuem ausbreite
und die Erde gründe.

  • Wenn auch nur ein erwachsener Mensch
    Gottes Wort hört
    und sein Leben ändert –
    dann hat sich unsere Arbeit gelohnt.
    Gottes Wort ist Schöpfung und macht uns neu.
  • Wenn auch nur ein junger Mensch
    Gottes Wort hört
    und in ihm Glauben geweckt wird –
    dann hat sich unsere Arbeit gelohnt.
    Gottes Wort ist Schöpfung und schenkt neues Leben.
  • Wenn auch nur ein alter Mensch
    Gottes Wort hört
    und es ihn tröstet im Angesicht des Todes –
    dann hat sich unsere Arbeit gelohnt.
    Gottes Wort ist Neuschöpfung,
    die über diese Welt hinausgeht.

Wunder geschehen jeden Tag.
Das Wort des Propheten Jesaja
wurde von jungen Leuten weitergegeben
und es erreicht uns noch heute.

Wer weiß
welche Resonanz das Wort haben wird,
das in der Trinitatisgemeinde erklingt,
auch wenn unsere Namen längst vergessen sind.

Ich weiß nicht, welchen Plan Gott mit uns verfolgt,
aber ich weiß, dass seine Zusage gilt
und sein Wort nicht leer verhallt,
sondern tut, was Gott gefällt,
und Hoffnung und Zukunft für uns bringt.
5

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Nach dem Evangelium des Sonntags, ELKG² 20, d.i. Mk 4,35–41.


4 Nach Jes 65,17, ELKG² 75 „Ewigkeitssonntag“, atl. Lesung.


5 Nach Cosi 376.


6 Phil 4,7