17:16

Das schöngeredete Konzerthaus
Predigt zu Jes 30,8–17

7 Altjahrsabend, 31. Dezember 2019, Farven und Bremerhaven

Das Schriftwort für den Altjahresabend erging durch den Propheten Jesaja an sein Volk zu einer Zeit, als ein schlimmer Krieg kurz bevorstand.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Schriftwort für den Altjahresabend
erging durch den Propheten Jesaja an sein Volk
zu einer Zeit, als ein schlimmer Krieg kurz bevorstand.
Er sprach:

8So geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch,
dass es bleibe für immer und ewig.
9Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne,
die nicht hören wollen die Weisung des
Herrn,
10sondern sagen zu den Sehern:

Ihr sollt nicht sehen!

und zu den Schauern:

Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen!
Redet zu uns, was angenehm ist;
schaut, was das Herz begehrt!
11Weicht ab vom Wege,
geht aus der rechten Bahn!
Laßt uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!“

12Darum spricht der Heilige Israels:

Weil ihr dies Wort verwerft
und verlaßt euch auf Frevel und Mutwillen
und trotzt darauf,
13so soll euch diese Sünde sein wie ein Riß,
wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer,
die plötzlich, unversehens einstürzt;
14wie wenn ein Topf zerschmettert wird,
den man zerstößt ohne Erbarmen,
so dass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde
oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen.

15Denn so spricht Gott der Herr, der Heilige Israels:

Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet,
so würde euch geholfen;
durch Stillsein und Hoffen würdet ihr stark sein.
Aber ihr wollt nicht
16und sprecht:
„Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliehen“, –
darum werdet ihr dahinfliehen,
„und auf Rennern wollen wir reiten“, –
darum werden euch eure Verfolger überrennen.
17Denn tausend von euch werden fliehen
vor eines einzigen Drohen;
ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen,
bis ihr übrigbleibt wie ein Mast oben auf einem Berge
und wie ein Banner auf einem Hügel.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder im Herrn,
liebe Schwestern in Christus!

Anfang diesen Jahres saß ich in einem Zugabteil
– auf der Reise von da nach dort –
und es entspann sich eine Konversation unter meinen Mitreisenden.
Einer der Herren, so stellte sich heraus,
war Bauingenieure;
sein Gegenüber ein rüstiger Frührentner.
Dieser nahm die Gelegenheit wahr,
jenem eine Frage zu stellen,
die ihm unter den Nägeln brannte.
Von ihm, dem Bauingenieur,
erhoffte er sich die kompetente Antwort eines Fachmannes.
Er fragte:

Sie haben doch bestimmt gehört
von der Elbphilharmonie in Hamburg?
Wie kann das sein,
dass die Kosten für ein solches Projekt
so aus dem Ruder laufen?

Wer hat versagt?
Ihre Kollegen, die das Angebot geschrieben haben?
Oder die Politiker?

Der Ingenieur wollte auf dieses Entweder-Oder partout keine Antwort geben.
Statt dessen erzählte er,
dass er für sich selbst eine Garage bauen lassen wollte.
Er dachte sich:

Ich bin ja Fachmann.
Für die Kalkulation brauche ich keinen anstellen!

Er ging an die Arbeit und machte ein Aufstellung:
Das-und-das will ich haben,
das-und-das ist das Geld,
das mir dafür zur Verfügung steht.
Schnell merkte der Ingenieur, dass das nicht zusammenpasst: Das, was er gerne hätte, und das, was er sich leisten kann.
Und dazu meinte er:

Da habe ich mich selbst dabei erwischt,
wie ich mir das schöngerechnet habe.

Der Ingenieur meinte,
wenn er so für einen Kunden kalkulieren würde,
würde wie er für sich selbst gerechnet hat,
würde seine Firma pleite gehen. —
Er hat das gemerkt.
Er hat sich quasi selbst dabei über die Schulter geschaut
und gesehen, was er da macht.

„Und?“ fragte unser Mitreisender,
„haben sie die Garage gebaut?“

„Ja,“ antwortete der Ingeneur,

„Ich wollte sie haben.
Ich wollte die Garage
so haben,
wie ich sie mir vorgestellt habe.
Ich wollte keine Kompromisse machen.
Ich zahle immer noch daran“.

Sehenden Auges hat er
– mit der schöngerechneten Kalkulation in der Hand –
die Baufirma beauftragt.
Die haben angefangen, zu bauen, und er wusste genau
dass deutlich teurer werden würde,
als er es sich leisten konnte.
Er
wollte das so.

Das hat der Ingenieur erzählt,
weil er sagen wollte,
dass genau das selbe in Hamburg passiert sei.
Die Politiker
wollten dieses schicke Konzerthaus.
Die Ingenieure des Baukonzerns
wollten den Auftrag haben. Also haben die einen das Angebot schöngerechnet
und die anderen
sehenden Auges unterschrieben.
Die Entscheidungen wurden getroffen,
als hätten die Beteiligten zu sich selbst gesagt:

Du sollst nicht sehen. —
Du sollst nicht schauen, was wahr ist.
Schaue, was das Herz begehrt.

Das ist dem, worum es bei Jesaja geht, sehr ähnlich!
Für seine Zeitgenossen ging es um große Politik.
Juda war zum Spielball seiner großen Nachbarn geworden.
Der König und seine Berater standen vor der Frage,
mit welchem Reich sie einen Pakt schließen.
Und das hieß auch:
Mit welchem Staatsgott schließt man einen „Neuen Bund“?
In dieser Situation hat Jesaja die Zusage Gottes verkündigt, dass er die Israeliten wunderbar aus der Hand ihrer Bedränger retten werde.
König Hiskija und seine Berater aus Wirtschaft, Militär
und Religion
haben es aber nicht über sich bringen können,
Gottes Zusage zu vertrauen.
Statt dessen haben sie sich verlassen
- auf die „Pferde“ der eigenen Kraft
- und die „Renner“ der eigenen Ausflüchte.
Dieser Mangel an Vertrauen bringt zum Ausdruck,
dass ihr Verhältnis zu Gott zutiefst zerrüttet ist.
Gott sagt ihnen ihre Erlösung zu,
aber sie
nehmen ihm nicht ab,
dass er sie retten kann und will.
Sehenden Auges schlagen sie sein Versprechen in den Wind und
treffen Entscheidungen, als ob es Gott nicht gäbe.
Dabei halten sich sich Hofpropheten,
- die ihnen ihre Situation schönreden
- und ihre Strategie schönrechnen.

Ihr sollte nicht sehen!

Was wahr ist, sollt ihr nicht schauen!
Redet zu uns, was angenehm ist;
schauet, was das Herz begehrt.

Äußerlich sind sie fromm,
aber
innerlich haben sie sich von Gott abgekehrt. —
Äußerlich war das Angebot korrekt
und das Vergabeverfahren rechtsgemäß,
aber
innerlich hatte es keinen Anhalt an der Wirklichkeit:
Für
-
das Geld hätte man
-
dieses Gebäude
- an
dieser Stelle

nicht bauen können.

Ein König in Jerusalem,
der kein Vertrauen setzt auf das Wort Gottes,
wird nicht bestehen.
Deswegen sagt Jesaja ihm das Gericht an:

Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet,
so wurde euch geholfen;
durch Stillsein und Hoffen würdet ihr stark sein.
Aber ihr wollt nicht […].

Eintausend von euch werden fliehen vor dem Drohen eines einzelnen; vor fünfen werdet ihr alle fliehen.

Unglauben, der sich auf die eigene Stärke verlässt,
endet in Niederlage und Demütigung,
ganz egal,
wie schön man es sich vorher gerechnet und geredet hat.

Ich finde,
der Ingenieur hat eine gute Antwort gegeben auf die Frage,
wer an den grotesk überhöhten Kosten für die Elbphilharmonie schuld sei.
Die Antwort gefällt mir deshalb so gut,
weil er bei sich persönlich anfängt zu fragen,
wie so etwas passieren kann.
Das bringt mich dazu, zu fragen,

  1. welche Ausgaben ich mir im letzten Jahr schöngerechnet habe.
  1. Welche Schulden / und welche Schuld habe ich auf mich genommen?
    Sehenden Auges?
    Weil ich etwas so wollte
    und vor den Konsequenzen für mich und andere die Augen verschlossen habe?
  1. Welche Beziehungen habe ich beansprucht oder belastet?
    Habe ich es gesehen?
    Habe ich es gewollt?
    Hat es mich überhaupt interessiert?
  • Das gilt für mein persönliches Umfeld,
    die Menschen, die mir jeden Tag begegnen.
  • Das gilt aber auch für mein erweitertes Umfeld:
    Habe ich konstruktiv und friedfertig geredet
    und gehandelt?
    Auf der Arbeit, in der Kirchengemeinde,
    online?
  • Das gilt für unsere Gesellschaft als ganzes.
    Habe ich mich so beteiligt,
    dass ich ein Segen war
    - für meine Stadt,
    - für mein Land
    - und für die ganze Welt?
  1. Am allermeisten muss ich mich aber fragen lassen,
    ob mein Handeln und mein Reden in der Gewissheit ruhen,
    dass Gott erfüllen wird, was sein Wort verheißt. —
    Hoffe ich auf seine Erlösung
    oder verlasse ich mich auf eigene Stärke?

Jesaja sagt:

Durch Stillsein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Stillsein und Hoffen sind nicht religiöse Tugenden
oder moralische „Werte“,
die ich euch von der Kanzel herunter verkaufen will.
Genau so wenig ist Jesaja ein „Moralapostel“
oder „Gutmensch“,
der seine Zeitgenossen zu besseren Menschen machen will. Stillsein und Hoffen haben eine ganz andere Begründung.

Der Prophet Jesaja spricht im neunten Kapitel:

4Das Volk, das im Finstern wandelt,
sieht ein großes Licht,
und über denen,
die da wohnen im finstern Lande,
scheint es hell.

5Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter;
und er heißt
- Wunder-Rat,
- Gott-Held,
- Ewig-Vater,
- Friede-Fürst;
6auf daß seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids
und in seinem Königreich,
dass er’s stärke und stütze
durch Recht und Gerechtigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des
Herrn Zebaoth.3

Hier am Altar kommt dieser König zu dir.
Er ist von seinem Thron herabgestiegen
und hält das Abendmahl mit dir.
In Brot und Wein schenkt er dir seinen eignen Leib
und sein eigenes Blut
und dies stärkt dich und bewahrt dich im Glauben,
zum Leben der Auferstehung.

Wer da glaubet und getauft ist, der wird ewig leben.4

Gott spricht durch seinen Propheten Jesaja:

Fürchte dich nicht!
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
5

Jesus hat dich angenommen.
Nicht Pferde, nicht Panzer
und keine Haubitzen können dich besser schützen als er.
Du brauchst dir nichts schönrechnen oder schönreden.

Das wirke der Herr Jesus Christus unter uns,
dass unser Sehen, Reden und Handeln
von der Gewissheit erfüllt ist,
dass seine Zusage gilt.
Seine Gegenwart ermögliche uns,
mit offenen Herzen unseren Nächsten zu begegnen
und zuzuhören,
- sei es in der großen Politik,
- in unserem Freundeskreis
- oder in unserer Familie.
Er hat in unserem Herzen Wohnung genommen.
Durch ihn und in ihm
ist unser Leben geprägt durch Stillsein und Hoffnung.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Jes 9,1.5f


4 Mk 16,16


5 Jes 43,1, Auswahl.


6 Phil 4,7