16:45

Kain und Abel
Predigt zu Gen 4

63 „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, sagt der Volksmund. 13. So. n. Trinitatis, 29. August 2021, Frankfurt

Adam missachtet das Gebot Gottes. Nicht weniger missachtet Kain das Leben seines Bruders Abel. Diese Predigt habe ich für den Diakoniesonntag verfasst, der eigentlich in der kommenden Woche gefeiert wird. Da die Frankfurter Gemeinde aber an diesem Tag den Lorberg-Gottesdienst geplant hat, habe ich sie auf den heutigen Sonntag vorgezogen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt, ist die alttestamentliche Lesung, die Geschichte des Brudermordes von Kain und Abel, wie wir sie vorhin gehört haben.

Es kann hilfreich sein, im Gesangbuch die Nummer 058 aufzuschlagen, wo die Geschichte von Kain und Abel neben den anderen Lesungen dieses Gottesdienstes steht.

Lasst uns beten: Herr Gott, himmlischer Vater, schicke deinen Heiligen Geist herab auf die Gemeinde. Gib, dass dein Wort auf guten Boden falle und reiche Frucht bringe. — Amen.

Liebe Gemeinde!

(1) „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ – 
sagt der Volksmund.
Ein guter Freund von mir:
Als er 18 war, war sein Auto kaputt
und er brachte es zu einem Bekannten,
einem Autoschrauber aus der Gemeinde.

Der meinte:

„Die Reparatur kostet so-und-so-viel“.

Oh, ne, so viel Geld hätte er nicht.

„Ja, was kannste denn?“

„Mein Vater ist Schreiner“.

„Ich habe ein Fenster, das muss eingesetzt werden.
Kannste das?“

„Hm.... ja.“ —

Er hatte das noch nie gemacht,
aber wenn der Vater Schreiner ist,
kann man natürlich mit Holz um.
Man weiß, wie man das Werkzeug hält.
Man hat einen Blick für saubere Arbeit.
Man weiß eben, worauf es ankommt.

Wir sind durch unsere Eltern tief geprägt.
Das ist auf der einen Seite ein Segen.
Es kann einem aber als Fluch vorkommen.

Wenn man jung ist, möchte man nie werden wie seine Eltern. Doch je älter man wird,
um so mehr geht man die Herausforderungen des Lebens an, wie sie es getan haben.
Wenn es gut läuft, hat man aus den Fehlern der Eltern gelernt.
Wenn es nicht so gut läuft,
macht man die selben Fehler nur unter anderen Vorzeichen.

Wie ist das mit Kain und Abel?
Was haben
sie von ihren Eltern mitbekommen?

(2) Die Bibel erzählt die Urgeschichte der Welt in rascher Abfolge: Gerade haben wir noch gehört, wie Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden.
Der Mann namens „Mensch“
und seine Frau namens „Leben“
passen nicht in die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott.
Äußerlich zeigt sich das in der Missachtung des Gebotes.
In Wirklichkeit geht es aber viel tiefer.
Was der Mensch
ist,
macht ihn ungeeignet für das Paradies.
Er mag das
Ebenbild Gottes sein,
und trotzdem ist sein Inneres
gegen Gott gewendet.

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ —
Das innere Wesen,
das Adam und Eva gegen Gott aufgebracht hat,
bringt das Kind des Paares gegen seinen Nächsten auf.

Kain „ergrimmt sehr“ gegen seinen Bruder.
Es wurde viel spekuliert,
ob dies aus Neid sei oder aus Eifersucht geschah,
ob nicht Gott am Ende Schuld sei,
weil er das Opfer des einen annimmt
und des anderen nicht.
Die Bibel interessiert das wenig.
Gottes Frage an Kain hat eine andere Perspektive.
Er fragt:

Warum ergrimmst du?
Und warum senkst du deinen Blick?
7Ist’s nicht so?
Wenn du fromm bist,
so kannst du frei den Blick erheben.
Bist du aber nicht fromm,
so lauert die Sünde vor der Tür,
und nach dir hat sie Verlangen;
du aber herrsche über sie.
2

„Wenn du fromm bist“ – übersetzt Luther.
Das Wort, das hier steht kommt von „gut“, „gut sein“.
In diesem Wort steckt das selbe „gut“,
das Gott über die Schöpfung sagt:

„Und siehe, es war sehr gut“.3

Wie soll er das aber sein,
als der Sohn von Adam und Eva?
Natürlich ist er nicht „gut“.
Was sich bei seinen Eltern in der Missachtung von Gottes Gebot gezeigt hat,
zeigt sich bei ihm an der Missachtung des Lebens seines Bruders.
Der Mensch
an sich ist gegen Gott und gegen seinen Nächsten.

Im Eingangspsalm zu diesem Sonntag heißt es:

Wer darf auf des Herren Berg gehen,
und darf stehen an seiner heiligen Stätte?

Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist,
wir nicht bedacht ist auf Lug und Trug
und nicht falsche Eide schwört,
der wird den Segen vom Herrn empfangen
und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.
4

Wer aber ist damit gemeint?
Wer hat unschuldige Hände und ist reinen Herzens?
Niemand!
Liebe Brüder und Schwestern,
niemand,
der aus der Familie Adams hervorgegangen ist,
kann das von sich sagen.

(3) Es hat auf Seiten Gottes nicht an Hilfestellung gemangelt. Er kennt Kains inneres Wesen
und trotzdem schützt er ihn mit dem Mal auf der Stirn.
Schon hier, am Anfang der Urgeschichte,
ist Gottes Gnade gegenwärtig
in seiner Haltung gegenüber den Menschen.

Er hatte Kain gewarnt:

„Die Sünde lauert vor der Tür,
und nach dir hat sie Verlangen;
du aber herrsche über sie.“

Gott hat im Verlauf der Geschichte immer wieder versucht,
den Menschen gegen die Sünde stark zu machen.
So ist das Gesetz des Mose zu verstehen.
Es soll eine Ordnung sein für das Volk Gottes.
Kaum jemand hat das Gesetz so verehrt, wie die Pharisäer.
Sie haben genau gewusst, welchen Schatz sie in Händen halten. Doch deshalb wussten gerade sie,
wie schwierig es ist, das Gesetz recht auszulegen.
Im Evangelium haben wir die Frage eines Pharisäers an Christus gehört:

„Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“

Er fragt also, was er tun muss,
um mit Gott ins Reine zu kommen, um gottgemäß zu leben.

Die Antwort ist das doppelte Liebesgebot:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben,
von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von allen Kräften und von ganzem Gemüt
und deinen Nächsten wie dich selbst“,

Diese Antwort ist zwischen dem Pharisäer und Jesus unstrittig. Der Pharisäer aber fragt weiter:

Wer ist denn mein Nächster?“

Jesus erzählt ihm daraufhin das Gleichnis
vom Barmherzigen Samariter.
Die Tragik des Gleichnisses ist,
dass der Levit und der Pharisäer meinen,
dass sie das richtige tun.
Sie gehen an dem geschlagenen Mann vorbei,
weil sie die Reinheitsvorschriften des Gesetzes einhalten wollen. Obwohl sie das Gesetz verehren
und es
ehrlich einhalten wollen,
missachten sie das Leben ihres Nächsten.
Sie missachten das Leben dieses Mannes nicht weniger,
als Kain das Leben seines Bruders missachtet hat –
und Adam das Gebot Gottes.

„Bin ich denn meines Nächsten Hüter?“

Was ist das Gegenbild, das Jesus uns bietet? –
Der barmherzige Samariter.
Er sieht den verwundeten und

„er jammerte ihn“.

Es zog ihm das Herz zusammen.
In dem Moment waren ihm die Reinheitsvorschriften egal.
Er hat einfach getan, was er für richtig hielt.
Jesus sagt seinem Gesprächspartner ganz ausdrücklich:

„Geh hin und tu desgleichen“.

Dieses Wort Jesu hat die Kirche für sich angenommen.
Die „Diakonie“ zählt unter die „Lebensäußerungen der Kirche“:
Nur da, wo die Kirche tatkräftig hilft,
ist wirklich Kirche.
Dies gilt unabhängig von Glauben und Haltung derer,
die Hilfe brauchen.
Das ist Jesus’ Auftrag an uns.

(4) Doch Kinder Adams sind wir immer noch –
und Geschwister Kains.
Darüber schreibt Paulus:

Wie nun durch die Sünde des Einen
die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist,
so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen
für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen,
die zum Leben führt.
5

Er redet von Adam und Christus.
Durch Jesus Christus ist die Kette gebrochen.
Du bist nicht mehr einfach nur von Adam geprägt,
sondern dein Schöpfer selbst macht dich neu.

Was in Adam angefangen hat,
hat Kain geführt.
Das hat Jesus gebrochen!
Was in ihm angefangen hat,
führt zu Leben.
Und
du bist ein Kind dieser Liebe Gottes zu uns,
seit du auf seinen Namen getauft bist.
Da hast du seine Prägung bekommen.

(5) Ich hatte am Anfang von meinem Freund erzählt,
der mit einem gepflegten Selbstbewusstsein an den Einbau dieses Fenster gegangen ist,
weil sein Vater Schreiner war.
Das ist ein Beispiel für eine
gute Prägung,
die man von seinen Eltern mitbekommen kann:
Ein Handwerk zu lernen,
Fähigkeiten und Eigenschaften,
die einen im Leben weiterbringen.

Die Geschichte geht noch weiter:
Es war nämlich so, dass die Tochter des Autoschraubers ihm bewundert bei der Arbeit zugeguckt hat.
Und die beiden haben später geheiratet.
Ich kenne die Geschichte überhaupt nur,
weil ich sie auf der Silberhochzeit erzählt bekommen habe.

Dieser gebrochenen Welt,
die bevölkert ist von den Geschwistern des Kains,
hat Gott die Liebe geschenkt.
Die Liebe wird immer wieder auf’s neue Wirklichkeit,
im Glauben an Christus,
in der Liebe zwischen Nächsten,
aber auch in der Liebe zwischen zwei Menschen,
die dann eine Familie werden.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Gen 4,6b–7


3 Gen 1,31


4 ELKG 058, aus Ps 24,3–5


5 Röm 5,18


6 Phil 4,7