16:49

Ströme des lebendigen Wassers
Predigt zu Joh 7,37–39

58 Exaudi, 16. Mai 2021, Bremerhaven

Ströme lebendigen Wassers sollen aus unseren Leibern fließen. Wie kann das sein? Und was hat das zu bedeuten? …also, konkret, in meinem Leben?

39Das sagte er aber von dem Geist,
den
die empfangen sollten, die an ihn glaubten;
denn der Geist war noch nicht da;
denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!1 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Themenstellung

Mir ist die Aufgabe gestellt,
in drei unterschiedlichen Gemeinden zu predigen,
an Himmelfahrt und am Sonntag Exaudi.
Diese
beiden Anlässe,
Himmelfahrt und der Sonntag Exaudi,
betrachten die Zeit zwischen der Auferstehung Jesu
und der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten.

Himmelfahrt schaut zurück,
Jesus hinterher.
Exaudi schaut nach vorn
und ist geprägt von der Vorfreude auf das,
was kommt.

In dieser Vorfreude scheint der Abschnitt für die Predigt ausgewählt:

Christus spricht:
„Wer an mich glaubt,
aus dessen Leib
werden Ströme des lebendigen Wassers fließen“.

Er sagt das ganz ausdrücklich mit Blick auf den Heiligen Geist.

Ströme lebendigen Wassers sollen aus unseren Leibern fließen.
Wie kann das sein?
Und was hat das zu bedeuten?
…also, konkret, in meinem Leben?

2. Ansatz der Antwort („Wie kann das sein?“)

Um mich dieser Frage anzunähern,
möchte ich einen Gedanken von Paulus aufnehmen.
In seinen Brief an die Epheser hat er geschrieben:

Wie überschwenglich groß [ist die] Kraft [Gottes] an uns,
die wir glauben,
weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde,
mit der er in Christus gewirkt hat.
Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt
und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel.
2

Die selbe Kraft Gottes,
die Christus von den Toten auferweckt hat,
ist in deinem Leben wirksam geworden.
Der
selbe Wille,
der Vater und Sohn verbindet,
schaut liebevoll auf dich.

Die „Ströme des Lebendigen Wassers“,
von denen Jesus redet,
sind Gottes Werk an uns.
Nicht wir können oder müssen etwas hervorbringen,
sondern wir spüren Gottes Kraft,

  • denn die eine Kraft Gottes
    hat das Leben der Schöpfung hervorgebracht.
  • Sie hat Jesus Christus von den Toten auferweckt
  • und sie gegenwärtig in deinem Leben.

Dem möchte ich weiter nachgehen
und ich habe drei Überschriften gewählt,
mit denen ich das Folgende gliedern möchte:
Schöpfung, Erlösung und Vollendung;
oder auch:
Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Schöpfung → Vater,
Erlösung → Sohn,
Vollendung → Heiliger Geist.

3a) Schöpfung

Im Buch Genesis im zweiten Kapitel
heißt es über den Garten Eden:

10Und [aus der Mitte entspringt ein Fluss,3]
und teilte sich von da in vier Hauptarme.

11Der erste heißt Pischon,
der fließt um das ganze Land Hawila,
und dort findet man Gold[…].

13Der zweite Strom heißt Gihon,
der fließt um das ganze Land Kusch.

14Der dritte Strom heißt Tigris,
der fließt östlich von Assyrien.

Der vierte Strom ist der Euphrat.

Vier mystische Ströme,
die in alle vier Himmelsrichtungen fließen:
Das ist ein Bild für Menschen aus der Wüste.
Für sie ist Wasser der Inbegriff des Lebens.
Dieses Wasser fließt aus der Harmonie des Göttlichen Gartens
und gibt der ganzen Welt Kraft zum Leben.

Jetzt, im Frühling,
können wir diese Kraft deutlich spüren.
Alles um uns herum will Leben.

Ich habe in meinem Wohnzimmer Fenster bis zum Boden.
Im Winter muss ich abends immer die Rolladen ’runtermachen,
damit man mir nicht in die Bude gucken kann.
Jetzt sieht mich niemand mehr,
denn die Büsche und Sträucher vor meinem Fenster
tragen Blätter.

Die Schwäne in den Kanälen
werden von grün-braunen Küken verfolgt
Die Ameisen in meiner Terrasse
machen die nächste Generation startklar.

Wie wundervoll ist alles zusammengefügt!

Das ist die Bedeutung von „Harmonie“:
Teile sind zu einem Ganzen zusammengefügt.
Hier können wir erleben,
wie Gott die Welt zusammengefügt hat
zum Leben
und zur Freude.
4

Diese Freude können wir auch empfinden,
wenn wir selbst schöpferisch tätig sind;
eine Frisörin, die sich eine Frisur anguckt und denkt:

„Gelernt ist gelernt!
Haare? Kann ich!“.

Das ist ein schönes Gefühl, etwas zu schaffen.

Wenn man in der Küche steht
und Zutaten zusammensetzt nach einem alten Rezept.
Dann probiert man
und es schmeckt wie bei Vattern,
oder wie von Omma,
und plötzlich sind in der Erinnerung Menschen gegenwärtig,
die längst nicht mehr da sind,
und Orte,
die weit weg sind.

Mit solch einer Freude
schaut Gott-Vater auf seine Schöpfung.

Die selbe Kraft Gottes,
die im Anfang das Leben geschenkt hat,
ist in unserem Leben wirksam.
Wir können spüren in der Natur
und erleben in der Freude
und in der Kraft, die wir selbst haben,
Neues und und Schönes zu erschaffen.

3b) Erlösung

Wer die kreative Freude kennt,
weiß aber auch, wie zerbrechlich und gefährdet sie ist.
Wir sind nicht mehr im Paradies,
sondern wir bedürfen der Erlösung.

Das rückt mir persönlich dann auf die Pelle,
wenn es sich reibt und knirscht in meinen Beziehungen.
Die Harmonie ist gestört:
- Konflikt,
- Streit,
- Neid,
- meine Eitelkeiten.
Alte Verletzungen schlagen neue Wunden:
- bei mir,
- bei anderen.
Wir werden schuldig aneinander
und die Schuld stößt den neuen Konflikt an.

Aus diesem Teufelskreis führt uns die Vergebung.
Vergebung ist ein großes Geschenk.

  • Aber was hat man zu verschenken,
    wenn man selbst Schulden hat?
  • Woher kommt die Kraft zu vergeben,
    wenn man selbst verletzt ist?

Die selbe Kraft Gottes,
- die die Welt geschaffen hat,
- die Christus von den Toten auferweckt hat,
ist in deinem Leben wirksam geworden.
Christus spricht zu dir:

Dir sind deine Sünden vergeben!5

Das heißt noch lange nicht, dass das immer einfach ist!
Wir Menschen sind endlich.
Unsere Kräfte sind begrenzt.
Doch es ist wichtig, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.
Schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit.
Lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit.
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit,
und er hat die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.
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So schreibt der Prediger Salomo.

Es ist, als würde er schon von Jesus Christus wissen:
Bei deiner Taufe hat er dich angenommen.
Er hat seine Vergebung schon in dein Herz gelegt.
Sie wird ihre Zeit finden.
Deine Verletzungen werden heilen
und Frieden wird in deinen Beziehungen herrschen –
spätestens in der Ewigkeit.

3c) Vollendung

Und bis dahin?
Wir bekommen wir die Kraft zur Vollendung?

Jesus sagt uns zu,
dass er uns nicht als Waisen zurücklässt.
Jesus sagt:

Der Tröster,
der Heilige Geist,
den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren
und an alles erinnern,
was ich euch gesagt habe.

Diesen Frieden lasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch.
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Das, was die Bibel hier mit „Tröster“ übersetzt,
heißt eigentlich:

Einer, der neben dir ruft.

Ich stelle mir den Heiligen Geist als einen Trainer vor,
der neben der Drückbank steht.

  • Er ermutigt mich,
    in diesem Training ein Stück weiter zu gehen als im letzten.
  • Er tröstet mich,
    wenn ich mal auf der Stelle trete
    und passt auf wie eine Sicherheitsstellung,
    der mir die Stange von der Brust nimmt,
    wenn mir die Kraft versagt.
  • Er ermahnt mich.
    Das heißt, dieser Trainer macht auch mal eine Ansage.

Jesus sagt über den Heiligen Geist:

Wenn er kommt,
wird er der Welt die Augen auftun
- über die Sünde
- und über die Gerechtigkeit
- und über das Gericht.
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Ich weiß ja nicht, wie das ist mit der ganzen Welt,
aber ich kann das sagen über mich:
Mir hat der Heilige Geist schon das ein oder andere Mal
die Augen geöffnet über die Sünde –
meine Sünde.

Um zu beschreiben,
wie er das tut,
benutze ich gerne die Unterscheidung
zwischen Kunst und Kitsch.

Dabei geht es nicht darum,
wie gut etwas gemacht ist.
Auch handwerklich sehr aufwendige Dinge können Kitsch sein,
wobei handwerklich simple Dinge Kunst sein können.
Der Unterschied zwischen Kunst und Kitsch ist in der
Wirkung,
nicht in der Fertigung.

Kunst bewegt dich aus der Ruhelage.
Kunst stößt etwas in dir an
und bringt dich zum Nachdenken.

Kitsch belässt dich da, wo du bist
und wie du bist.

Der Heilige Geist lässt dich nicht,
- wo du bist
- und wie du bist,
sondern er bewegt dich zu Jesus Christus.
Er bewegt dich dazu, seine Vergebung zu suchen,
denn du merkst,
dass du nicht im Einklang bist damit,
wie du geschaffen bist.

Das kann dir passieren, wenn du ein Werk betrachtest:
das Werk Gottes,
aber auch das Werk von Menschen.
Das kann innerhalb und außerhalb der Kirche passieren.
Der Unterschied ist,
dass wir für die Kirche eine Verheißung haben.

Christus spricht:

Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen,
da bin ich mitten unter ihnen.
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Zu seinen Jüngern sagt Jesus:

Wer euch hört,
der hört mich.
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Das eine Zusage über die Predigt.
Hier verspricht uns Gott,
- dass er zu uns reden will,
- dass er uns anstoßen
- und in die richtige Richtung weisen will
durch sein Wort.

Doch natürlich ist der Heilige Geist
nicht angewiesen auf Pastoren.
Auch das prophetische Wort,
dass dein Bruder oder deine Schwester an dich richtet,
kann dich treffen und dich bewegen.

Die selbe Kraft,
die die Welt geschaffen hat,
trifft hier auf dich
und die Erlösung und Vollendung,
die Gott für dich will,
wird in deinem Leben Wirklichkeit.

4. Conclusio

Liebe Brüder und Schwestern,
ich habe in dieser Predigt Linien nachgezeichnet,
die zur Drei-Einigkeit Gottes führen:
Die eine Kraft Gottes
erfahren wir
- in der Schöpfung (als Werk des Vaters)
- in der Erlösung (als Werk des Sohnes)
- und in der Vollendung und Begleitung (als Werk des Geistes).
Auf drei unterschiedlichen Wegen
erreichen uns „Ströme lebendigen Wassers“
aus einer Quelle:
Der Kraft des
einen Gottes. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 Ps 119,105


2 Eph 1,19f Das berührt den Predigtabschnitt für Himmelfahrt.


3 Das ist ein Filmtitel, eigentlich. Ich will hier aber die Symbolik der Mitte aufrufen.


4 „Schöpfung“ heißt also Aufbau und Erhalt von Interdependenzzusammenhängen zwischen natürlichen und kulturellen geschöpflichen Bereichen, die der Gestaltung des Menschen zugänglich und unzugänglich sind. — M. Welker, „Schöpfung und Wirklichkeit“, S. 29.


5 Vgl. Mt 9,2.


6 Aus Koh 3.


7 Aus Joh 14,26f.


8 Joh 16,8


9 Mt 18,20


10 Lk 10,16