17:40

Die Metamorphose
Predigt zu Eph 4,22–32

55 Quasimodogeniti, 11. April 2021, Bremen

In der Grundschule haben wir die Metamorphose des Schmetterlings gelernt. Erst vor kurzem habe ich erfahren, wie nah das Tier in seiner Entwicklung dem Tod kommt, damit neues Leben entsteht. Von daher ist es kein Wunder, dass die Puppe eines Schmetterlings ein Symbol für eine radikale Lebenswende ist, für Wiedergeburt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

In seinem Brief an die Epheser erinnert Paulus die Hörer daran, dass sie mal Heiden waren, die von Gott nichts wussten.
Weil sie aber das Evangelium gehört haben und in der Wahrheit unterwiesen sind, die in Jesus ist,
ermuntert er sie zu einem neuen Lebenswandel.

Der Apostel schreibt:

22Legt von euch ab den alten Menschen
mit seinem früheren Wandel,
der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
23Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
24und zieht an den neuen Menschen,
der nach Gott geschaffen ist
in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

25Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit,
ein jeder mit seinem Nächsten,
weil wir untereinander Glieder sind.

26Zürnt ihr, so sündigt nicht:
laßt die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen,
und gebt nicht Raum dem Teufel.

28Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr,
sondern arbeite mit seinen eigenen Händen Gutes,
damit er dem Bedürftigen abgeben kann.

29Laßt kein bitteres Geschwätz aus eurem Mund gehen,
sondern redet, was gut ist,
was erbaut und was notwendig ist,
damit es Segen sei denen, die es hören.

30Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes,
mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.

31Alle Bitterkeit
- und Grimm
- und Zorn
- und Geschrei
- und Lästerung
seien fern von euch,
samt aller Bosheit.

32Seid untereinander freundlich und herzlich
und vergebt einer dem andern,
wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Lasst uns beten: Herr, sende uns dein Wort, damit es uns gesund macht und rettet. So wollen wir dir danken für deine Güte und für die Wunder, die du unter uns tust.2 — Amen

Liebe Gemeinde,

in der Grundschule haben wir die Metamorphose des Schmetterlings gelernt:
dass die Schmetterling-Weibchen Eier legen,
aus denen Raupen schlüpfen.
Die Raupen fressen und wachsen bis sie sich verpuppen.
Aus den Puppen schlüpfen dann neue Schmetterlinge!

Erst vor Kurzem habe ich gelernt,
dass die Raupe in der Puppe sich vollständig
in eine Art Brei verwandelt.
Das Tier spinnt sich seinen Ko­kon und beginnt,
Enzyme abzusondern, die es auflösen.
Es verdaut sich quasi selbst.
Von der Raupe bleibt nur eine Nährflüssigkeit übrig
und ein Keim.
Aus dem Keim entsteht der neue Schmetterling
und die Flüssigkeit dient ihm als Nahrung.

Faszinierend!
Ich wusste nicht, wie nah dieses Tier dem Tot kommt,
damit neues Leben entsteht.

Wenn man das weiß, ist es kein Wunder,
dass die Puppe zu einem Symbol geworden ist,
für eine radikale Lebenswende,
für „Wiedergeburt“.

Paulus schreibt an anderer Stelle,
der alte Mensch stürbe in der Taufe
und ersteht als Neuer Mensch wieder auf.
3

Christlich gesprochen ist der alte Mensch die Raupe.
Er passt sich seiner Umgebung an
und frisst, was er kriegen kann.

Es hat nichts mit Moral zu tun, wenn Paulus schreibt,
dass der Alte Mensch
durch seine „trügerischen Begierden zugrunde gerichtet“ wird, sondern es entspricht seinem Wesen:
Er lebt auf Kosten anderen Lebens
und es ist ihm egal.

Der Alte Mensch zerstört Gemeinschaft
zwischen sich und Gott
und zwischen sich und seinem Nächsten.

Das kann moralisch alles „im Rahmen sein“.
Und es kann von Mensch zu Mensch
sehr unterschiedlich aussehen.
Doch ist es ein nimmersattes, zerstörerisches Fressen.

Christlich gesprochen ist die Taufe der Moment in der Puppe, wenn gar keine Raupe mehr da ist.
Im Keim ist das Tier jetzt ein schon Schmetterling!
Es ist sehr klein und unscheinbar,
aber in seinem
Kern ist das Tier nicht mehr das,
was es vorher war.

Christlich gesprochen ist das Leben des Schmetterlings die Heiligung.
Das Leben eines Schmetterlings ist auch
von Fressen und Wachsen geprägt,
aber es ist ein Wachsen im Glauben,
denn dieses
neue Leben ist
auch geprägt von der Beziehung mit Gott.

Wer getauft ist,
passt sich nicht mehr einfach der Umgebung an,
sondern ist mir Jesus Christus
durch Tod und Auferstehung gegangen.
Wer getauft ist,
passt eigentlich nicht mehr so richtig in die Welt,
sondern zu Gott.

Ein Schmetterling ernährt sich ganz anders.
Als Raupe hat er den Pflanzen die Blätter weggefressen.
Jetzt fliegt er von Blüte zu Blüte.
Er holt sich den Nektar, den die Pflanzen für ihn bereiten,
und trägt dafür Blütenstaub von Blume zu Blume.
Er muss immer noch auf Kosten anderen Lebens leben,
aber er hat eine ganz andere Haltung dazu.
Er nimmt vorsichtig und gibt zurück, wo er nimmt,
denn durch die Übertragung des Blütenstaubes,
erweist der Schmetterling der Blume einen wichtigen Dienst;
einen Dienst, der zu neuem Leben führt.

Liebe Gemeinde!

Wenn Paulus uns ermuntert, den Alten Menschen abzulegen und dafür den Neuen Menschen anzulegen, sagt er uns:

„Ihr seid Schmetterlinge!
Hört auf, euch wie Raupen zu benehmen!“

Paulus nennt vier Dinge,
um uns das konkret vor Augen zu führen:
- Das Lügen,
- den Zorn,
- das Stehlen
- und das Lästern.

Die Lüge ist eine vernichtende Kraft.
Ich meine dabei nicht zuerst die offensichtliche Lüge,
- wenn man etwas sagt und es eigentlich besser weiß
- oder in der Steuererklärung ein oder zwei Belege „vergisst“.
Ich rede von den verborgenen, den gewieften Lügen:
Die Lügen, mit denen man erst
sich selbst belügt
und dann die
anderen.

Der Zorn ist eine vernichtende Kraft.
Ein Wutausbruch kann schlimm sein,
aber schlimmer ist der Zorn, den man in sich hineinfrisst.
Neulich habe ich mitbekommen,
wie sich jemand vollkommen daneben benommen hat. —
Ich bin innerlich total wütend geworden und habe geschwiegen.
Es wäre gut gewesen,
wenn ich es konstruktiv angesprochen hätte.
Statt dessen habe ich nur gelitten unter meiner eigenen Wut.

Trägheit ist eine vernichtende Kraft.
Paulus redet ganz deutlich zu Menschen, die faul sind.
Sie klauen sich ihren Lebensunterhalt zusammen.
Er fordert sie auf, sich in Bewegung zu setzen,
sich Arbeit zu suchen und mit den eigenen Händen
„gutes“ zu erwirken.
Gutes, um abzugeben für die, die es brauchen.
Es geht dem Apostel nicht um „schaffe, schaffe, Häusle baue“, sondern „schaffe, um Leben zu ermöglichen“.
Es kommt Paulus auf ein Leben in Beziehung zum Nächsten an.

Das Lästern ist eine vernichtende Kraft.
Neudeutsch redet man von „Mobbing“:
Der Mob sucht sich ein gemeinsames Ziel
und erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl
durch die Ausgrenzung anderer.
Abgrenzung ist die einfachste Methode,
eine Gruppe zu stabilisieren.
Es geschieht aber auf Kosten der Gemeinschaft als ganzen.

Es scheint doch so zu sein,
dass das keine neuen Probleme sind,
die Paulus hier anspricht,
auch unter Christen nicht.
Wäre das nicht so,
hätte Paulus die Epheser nicht ermahnen müssen.

Es sind vier Beispiele für ein größeres Problem.
Wir leben unser Leben nicht nach Gottes Willen.
Wir betrüben immer wieder, wie Paulus es formuliert,
den Heiligen Geist.
Bitterkeit,
Grimm,
Zorn,
Geschrei,
Lästerung,
und Bosheit.
Ich kenne alle diese Dinge.
Auch wenn sie nur in mir drin sind,
sind sie doch schlimm genug.

Da fragt man sich,
ob das mit der Wiedergeburt
und der Metamorphose nicht bloße Theorie ist:
In Wirklichkeit sind wir gar keine schönen Schmetterlinge, sondern kriechen nach wie vor als gefräßige Würmer
von Blatt zu Blatt.

Und trotzdem glaube ich daran,
dass in der Taufe schon ein Kern in mich gelegt wurde,
der in meinem Leben Wirkung entfaltet.

Es ist wahr,
dass wir immer wieder am Willen Gottes scheitern.
Doch wie viel Gnade ist es, darum zu wissen.
4

Und nicht nur das!
Wie viel Trost liegt darin,
zu wissen, dass der Kern schon in uns gelegt worden ist.
Von Gott selbst.

Durch den Propheten Hesekiel spricht Gott:

„Ich will herausreißen dein Herz aus Stein
und die ein Herz aus Fleisch geben“
5.

Im Kern, im Herzen, ist dieses Werk schon vollbracht.

Es ist von diesem Gedanken aus, dass Paulus auf die Vergebung zu sprechen kommt. Er schreibt:

Vergebt einer dem andern,
wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Wir sollen uns ein Beispiel nehmen an Gott!
Und wir
können uns ein Beispiel nehmen an Gott
und uns gegenseitig vergeben,
wie und weil er uns in Christus vergeben hat.

Da steckt das Scheitern schon drin!
ein Scheitern an einander und an Gott.
Aber es ist uns auch an die Hand gegeben, wie wir mit diesem Scheitern
umgehen sollen.

Wir sind doppelt gesegnet:
Unser Wachstum wird nicht gespeist aus uns selbst,
sondern aus der Kraft Gottes.
Und unser Scheitern bleibt nicht hängen an uns selbst,
sondern
„er trug unsere Krankheit
und lud auf sich unsere Schmerzen“.6

Liebe Brüder und Schwestern,
die erste, der 95 Thesen,
die Martin Luther an die Schlosskirche zu Wittenberg heftete, lautet:

„Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ‚Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen‘, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.“

Unser ganzes Leben soll geprägt sein von der Buße.
Das heißt, wir sollen immer wieder zu dem zurückkehren,
der uns erlöst hat.
Wir sind unserem Dasein als Raupe gestorben
und erstehen neu aus dem Kern,
den der Herr in uns gelegt hat.

Ich möchte dich deshalb mit Paulus ermuntern,
täglich neu an diesen Kern in dir zu glauben.
Er wurde bei der Taufe in dich gelegt.

Da gab Gott dir das Versprechen,
- dass er dich liebt,
- und dass er mit dir sein will auf deinem Weg zu ihm.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!7 Amen.

Die erste Fassung dieser Predigt wurde abgefasst für den 19. So. n. Trin 2017 in Görlitz.
Die zweite für die Trinitatisgemeinde in Weigersdorf, Reformationstag 2017.
Fast ungeändert Quasimodogeniti 2021 in Bremen.

1 1.Kor 1,3


2 Nach Ps 107,19f.


3 Röm 6


4 Gestrichen: „In der Erkenntnis liegt die Chance an uns zu arbeiten! — Ich mag den Satz an dieser Stelle. Gert meinte, es hätte zu sehr den Ruch der Werkerei, an sich zu „arbeiten“.


5 Ez 36,26


6 Jes 53,4


7 Phil 4,7