14:26

Licht in der Dunkelheit
Predigt zu 2.Petr 1,16–21

48 Letzter So. n. Epiphanias, 31. Januar 2021, Bremen

Wo steht mein brennender Dornbusch? Wo ist der heilige Berg, auf dem Jesus mir erschienen ist? Welches geistliche Erlebnis bringt mich dazu, die Bibel zu lesen, als Gottes Wort für mich? – Gerahmt von einer Geschichte über Dunkelheit, gebe ich auf diese Frage eine kurze, persönliche Antwort.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist die Epistel zum heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias.
Sie steht im 2. Brief des Petrus im 1. Kapitel:

16Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt,
als wir euch kundgetan haben
die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
17Denn er empfing von Gott, dem Vater,
Ehre und Preis durch eine Stimme,
die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit:

„Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe“.

18Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen,
als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.
19Um so fester haben wir das prophetische Wort,
und ihr tut gut daran,
dass ihr darauf achtet als auf ein Licht,
das da scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbreche
und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.

20Und das sollt ihr vor allem wissen,
dass keine Weissagung in der Schrift
aus eigenen Deutung geschieht.
2
21Denn es ist noch nie eine Weissagung
aus menschlichem Willen hervorgebracht worden
3,
sondern getrieben
3 von dem heiligen Geist
haben Menschen im Namen Gottes geredet.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!4 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1) ich möchte euch heute morgen mitnehmen in ein Bergwerk.
Es ist ein Kohlebergwerk im Süden von Wales.
Von Haus aus würde ich euch ja mitnehmen
auf einen Püt im Ruhrgebiet,
aber die Szene, die ich hier nacherzähle,
stammt aus einem Buch des englischen Autors Ken Follett.
5
Deshalb will ich sie auch in Wales lassen.

Es ist Juni 1911
und wir begleiten den gerade 13-jährigen Billy Williams
bei seinem ersten Arbeitstag.
Der Tag fing schon gut an:
Es war damals üblich, dass die Förderkörbe
die Fahrt
abwärts im freien Fall vollzogen.
Unten wurden die gebremst,
aber den größten Teil der Fahrt fiel man schwerelos
den Schacht nach unten.
Die erfahrenen Bergleute wussten das natürlich,
aber Billy kam schreiend
und mit schlotternden Knien unten an.
Die anderen haben gelacht, wie Männer dann so sind.
Überhaupt war der Morgen gezeichnet
von rauen Demütigungen:
Billy ist meilenweit außerhalb vom den,
was wir so als „Komfortzone“ bezeichnen würden.

Der Steiger kommt
und nimmt ihn mit in ein Gewirr von Eingängen und Tunneln.
Billy verliert jede Orientierung.
Jedenfalls kriegt er hier seine erste Aufgabe:
Er soll Schlamm in eine Lore schaufeln.
Billy hat keine Ahnung, wozu das gut sein soll,
aber er stellt mal besser keine Fragen.
Er schätzt, er soll hier auf die Probe gestellt werden.

Der Steiger meint:
„Ich komm gleich wieder
und schau mir an, wie du voran kommst“.
Er lässt Billy alleine arbeiten.

Billy nimmt die Grubenlampe von seinem Gürtel
und hängt sie an einen Nagel.
Er fängt an zu schaufeln.

Nach einer Weile hat er das Gefühl,
dass ihn jemand beobachtet.
Er dreht sich um
und sieht jemanden in den Schatten stehen,
still, wie eine Statue.
„Gott-o-Gott!“ ruft er.

Es ist der Steiger.
„Ich habe vergessen, nach deiner Lampe zu schauen“, sagt er.
Er nimmt Billys Lampe vom Nagel und fummelt dran herum.
„Dachte ich mir…“ sagt er.
„Ich gebe die meine“.
Er hängt eine andere Lampe
auf und und verschwindet mit Billys Grubenlampe um die Ecke.

Das ist zwar eine komische Type,
aber wenigstens scheint er sich
um Billys Sicherheit Gedanken zu machen.

Billy fängt wieder an zu arbeiten.
Er hat keine Uhr
und er kann nicht wirklich sagen,
wie viel Zeit vergangen ist.

Dann geht die Lampe aus.

Billy hat noch nie solche Dunkelheit erlebt.
Er sah nichts; gar nichts;
nicht mal graue Schleier,
nicht mal unterschiedlich tiefes Schwarz hier oder dort.
Er hob seine Schaufel vor sein Gesicht –
zwei Zentimeter vor seine Nase,
aber er sah nichts;
gar nichts.

(2) Liebe Brüder und Schwestern,
unser Abschnitt heute Morgen erzählt von einer Erinnerung.
Es ist eine Erinnerung an die Verklärung Jesu.
Es war auf dem „heiligen Berg“,
als Jesus anfing zu leuchten
und eine Stimme vom Himmel kam:

„Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe“.

Deswegen haben wir das „prophetische Wort“ um so fester.
Und wir sollen darauf achten,
wie auf „ein Licht, das scheint an einem dunklen Ort“.

Bezogen auf meinen Glauben,
kenne ich das Gefühl,
an einem dunklen Ort zu sein.
Der ist vielleicht nicht ganz so dunkel
wie ein Kohlebergwerk ohne Grubenlampe,
aber dunkel genug,
dass ich mich frage:

  • Wo steht denn mein brennender Dornbusch?
  • Wo ist mein heiliger Berg,
    auf dem Jesus vor meinen Augen verklärt wurde?
  • Welches geistliche Erlebnis bringt mich dazu,
    die Bibel zu lesen als Gottes Wort für mich?

Ein Schlüsselerlebnis für meinen Glauben
war meine erste Begegnung mit akademischer Theologie.
Das war in Dortmund an der Universität,
als ich anfing,
Theologie als Nebenfach zu studieren.

Ich kann mich sehr gut erinnern
an meine erste Vorlesung im Alten Testament.
Ich kannte vorher zwei Sichtweisen auf die Bibel:

  • Im Kindergarten (und noch im Konfi-Unterricht)
    kamen viele biblischen Geschichten vor.
    Das hatte ich damals als Kinderkram abgetan.
    Wie den Weihnachtsmann und den Osterhase
    hatte ich Gott, Jesus und die Bibel
    weggepackt und auf den Dachboden gestellt.
  • Die andere Sichtweise war die von meinen frommen Freunden,
    für die immer alles, was in der Bibel stand
    absolute Wahrheit ist.
    Alles musste historisch stimmen,
    - die „Sechs-Tage-Schöpfung“,
    - die Arche Noah,
    - der Auszug aus Ägypten.
    Das immer mit so einem leichten Druck daher:
    „Wenn du das nicht glaubst,
    dann kommst du in die Hölle…
    und das täte uns allen leid“.

Davon war die Theologie an der Universität vollkommen frei.
Es wurde ganz frei besprochen,
wer diese Texte wann geschrieben haben könnte.
Es wurde ganz offen darüber geredet,
wie – und wie genau –
historische Tatsachen von der Bibel abgebildet werden.

Wichtig war aber immer,
wie die Menschen damals gelebt und gedacht haben.
Wir haben gelernt,
wie sich das Leben der Menschen
und ihr Glauben
in den Büchern der Bibel widerspiegelt.
Das hat immer wieder Menschen dazu bewegt,
die Bibel neu lesen.

Und das ist, was mich am Ende beeindruckt hat:

  • dass die Bibel immer wieder Menschen angesprochen hat,
    ihr eigenes Leben
    im Licht dieser Texte zu sehen,
  • dass Menschen sich immer wieder mit dem Gottesvolk identifiziert haben.
    Sie haben sich in der Bibel wiedererkannt
    - mit ihrem Glauben an Gott
    - und auch mit ihren Konflikten
    - und auch mit ihrer Klage vor Gott.

Die Bibel ist das Buch des Lebens.
Sie handelt von echten Menschen –
- aus einer anderen Zeit,
- einer anderen Kultur
- und einem anderen Ort.
Aber ich teile mit diesen Menschen mehr,
als mich von ihnen unterscheidet.

Die Bibel ist das Buch des Glaubens.
Dieser Glauben ist auf mich übergesprungen.
Dieser Glaube hat mich zu Jesus Christus geführt.
Über verschlungene Pfade brachte er mich auch zu euch,
hierhin, auf diese Kanzel.

Der Predigtabschnitt beginnt:

16Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt,
als wir euch kundgetan haben
die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.

Das ist das „wir“ von Petrus, Jakobus und Johannes.
Sie waren selbst mit Jesus unterwegs
und sie hatten dieses intensive Glaubenserlebnis auf dem Berg,
bei dem sie Gottes Stimme gehört haben.

Nichts an meinem Glaubenszeugnis ist so spektakulär
- wie ein Dornbusch, der brennt, aber nicht verzehrt wird
- oder wie die Erscheinung von Moses, Elia und Jesus.
Aber auch ich bin nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt,
obwohl die Bibel literarisch ansprechend ist,
und manch eine fabelhafte Geschichte enthält.

In einem gewissen, unspektakulären Sinne
hat Gottes Stimme zu mir gesprochen.
So hoffe ich zumindest.
Sie hat mich angesprochen durch die Bibel
und durch die Begegnung mit Menschen,
durch einen Weg, den ich gegangen bin.
Sie hat mich zu Erkenntnis geführt,
- über die Welt,
- über mich selbst
- und über Gott.
Und auf ihre Art hat sich mich auf Jesus Christus verwiesen und gesagt:

Dies ist Gottes Sohn.
Er ist
für dich da
und er möchte mit die Gemeinschaft haben.

Ich möchte euch ermutigen,
liebe Gemeinde,
euch zu fragen,
wo euer brennender Dornbusch steht
und wo euer heiliger Berg ist.

(3) Bevor ich schließe,
möchte ich aber noch zu Billy Williams zurückkehren.
Der sitzt nämlich immer noch im Dunkeln,
unten im Bergwerk.

Inzwischen hat er etwas weitergearbeitet.
Er sieht zwar nichts,
aber er will auch nicht als Schwächling dastehen.
Er bekommt es mit der Angst zu tun.
Er verliert die Orientierung.
Immer, wenn er sich von der Lore wegbewegt,
fürchtet er, dass er sie nicht wiederfindet.
Am Anfang hatte er Angst,
er fängt gleich an zu weinen.
Jetzt muss er sich zwingen,
nicht laut zu schreien.

Dann erinnert er sich an etwas,
dass seine Mutter ihm gesagt hat.
Sie hat gesagt:

Jesus ist immer bei dir,
selbst unten im Bergwerk.

Erst hat er gedacht, sie wollte ihm einen mitgeben,
damit er sich anständig benimmt.
Aber jetzt merkt er, was sie meint.

Natürlich ist Jesus bei ihm.
Jesus ist überall,
auch in der Dunkelheit.

Billy hat jemand,
der für ihn da ist,
der bei ihm ist.

Um sich daran zu erinnern fängt er an,
Choräle zu singen.
Er arbeitet im Rhythmus der Musik.
Immer, wenn ein Choral zu Ende ist,
kommt die Angst zurück.
Dann stellt sich Billy vor,
dass Jesus gleich auf der anderen Seite von der Lore steht.
Er schaut ihn an wie einer,
der genau weiß, wie das ist,
was er jetzt durchmachen muss.

Als Billy singt

„Erstanden ist der heilig Christ“

sieht er ein Licht.

Er lässt sich nichts anmerken.
Der Steiger sagt:

„Was ist mit deiner Lampe passiert?“

„Du weißt genau, was passier ist“.

Der Steiger stutzt.
Dann dreht er sich um und tritt den Rückweg an.

Billy zögert.
Er sieht sich noch mal um.
Er denkt für einen Moment,
er sieht Jesus auf der anderen Seite der Lore stehen.

In leeren Tunnel hinein sagt er: „Danke“.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

Predigtlied

„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht“, Cosi 376.

1 1.Kor 1,3


2 V. 20: Die Übersetzung von ὅτι πᾶσα προφητεία γραφῆς ἰδίας ἐπιλύσεως οὐ γίνεται folgt ELB06. LUT ist missverständlich, als wäre die Schrift nicht Gegenstand menschlicher Auslegung. Das ist sie natürlich, wie auch 2Petr deutlich zeigt, der moniert, dass Paulus schwer zu verstehen sei und (wie andere hl. Schriften) von den Gegnern verdreht würde.


3 ἠνέχθη–φερόμενοι — Es ist schade, dass sich dieses Spiel mit dem Aktiv und Passiv von φέρω so gar nicht in der Übersetzung niederschlägt. Aber wie sollte es? Ich habe auch keine gute Idee.


4 Ps 119,105


5 Nach: Ken Follett: “Fall of Giants“, London 2010, aus Kapitel 1.


6 Phil 4,7