15:41

Der zwölfjährige Jesus im Tempel
Predigt zu Lk 2,41–52

44 2. So. n. Weihnachten, 3. Januar 2021, HB und Video-GD

Dies ist die Predigt aus dem Blütenlese Video-Gottesdienst für den selben Sonntag.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Mir fällt heute morgen zu,
das Evangelium des Sonntages auszulegen,
wie wir es gerade gehört haben:
Die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel.

Lasst uns beten:
Herr Jesus Christus,
lass es Weihnachten werden in unseren Herzen
indem du zu uns kommst
und uns selbst ansprichst durch das Wort der Predigt.
— Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

heute feiern wir den letzten Sonntag,
der von Weihnachten aus gezählt wird.
Dieser Sonntag führt ein bisschen ein Schattendasein.
Weihnachten ist vorbei.
Über den Moment der Ankunft Jesus ist viel gesagt worden.
Wir haben das Fest gefeiert,
reich an öffentlichen und privaten Traditionen,
dick mit Gefühlen und Erinnerungen aufgeladen.

Dann kommt die Zeit „zwischen den Jahren“.
„Zwischen den Jahren“ meint eigentlich die Zeit
zwischen dem Kirchenjahr und dem Kalenderjahr;
streng genommen also zwischen dem 1. Advent
und dem 1. Januar.
Weihnachtsferien und -urlaub
gibt es aber nur in den letzten Dezember-Tagen.
Deswegen kommt es uns so vor,
als seien diese stillen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr
wie eine Lücke „zwischen den Jahren“.

Wenn es dann so kommt,
dass zwischen Neujahr und Epiphanias noch ein Sonntag fällt,
dann ist es Sache des Pastors,
sich vorne hinzustellen und zu sagen:

Übrigens: Wir haben noch Weihnachten!

Alle denken:

Fühlt sich komisch an,
aber wenn der Pastor das sagt,
wird das schon stimmen.

Der Abschnitt,
den ich uns heute auslegen soll,
passt gut in diese „Zwischenzeit“.
Beim Evangelisten Lukas steht er auch „dazwischen“:
Zwischen Geschichten, in denen Jesus ein Baby ist,
und Geschichten,
wenn es richtig losgeht und Jesus erwachsen ist;
also die Geschichten, die wir im ganzen übrigen Jahr hören.

Jesus ist zwölf
und wir begleiten ihn in die große Stadt.
Nach Jerusalem, in die Stadt des Tempels,
haben ihn seine Eltern mitgenommen.

Wir können uns das so vorstellen,
dass sie wie in einer Reisegruppe aus ihrem Dorf unterwegs waren.
Die haben das Passahfest gefeiert.
Das haben die jedes Jahr gemacht
und das war für die Familien etwas,
das mit unserem Weihnachten vergleichbar ist.

Viele von uns reisen ja auch zu Weihnachten.
Heiligabend feiert man mit der Familie.
Am ersten Weihnachtstag sind dann viele bei Oma und Opa
oder so etwas.

Nur, dass die Juden damals,
als es den Tempel noch gab,
Passah nur in Jerusalem feiern konnten.
Man machte also einmal im Jahr eine Pilgerfahrt
„hinauf“ nach Jerusalem.
Das war ein Ereignis für die ganze Familie.
Und jeder im Dorf wollte mit dabei sein.

Auf dem Heimweg haben die Eltern dann diesen Schreckmoment.
Wenn es heute wäre, stellt euch das so vor:
Beim ersten Halt auf der Autobahnraststätte stellen sie fest:
Jesus ist weg.

„Ich dachte, er wäre bei euch im Auto!“

„Ne, wir dachten, er wäre bei euch im Auto!“

Der Schock, der Wutanfall, die Hilflosigkeit –
rein ins Auto,
bis zur nächsten Ausfahrt
(das ist eine Autobahn, kannst nicht einfach umdrehen!),
wieder drauf auf die Autobahn und zurück nach Jerusalem;
Josef mit einem Auge auf der Uhr
und einem Auge auf der Tankanzeige.
Der Mann hat einen Schreinereibetrieb zu Hause.
Die Selbstständigen unter euch wissen das:
Wie arbeitet man, wenn man einen eigenen Betrieb hat?
Selbst und ständig.
So lange er den
filius sucht, bleibt zu Hause die Arbeit liegen.

Die Szene ist wie aus „Kevin allein zu Hause“ oder „Kevin allein in New York“ – „Jesus, allein in Jerusalem“.
Genau so suchen seine Eltern nach ihm.
Das scheint auch erst mal vernünftig:
Sie suchen in den Läden,
auf den Basaren,
in den Kinos und Theatern,
bei Freunden und Bekannten.
Drei Tage lang.
Und wo finden sie das Kind?
Sie finden ihn, wie er in der Kirche sitzt – freiwillig! –
und er redet mit den Pastoren über Theologie.

Also: Spätestens ab jetzt wird die Geschichte unrealistisch!
Über Jungfrauengeburt können wir reden,
aber
das ist abwegig:
Jeder, der sich mit zwölfjährigen Jungs auskennt
(oder selbst ein zwölfjähriger Junge war),
der weiß genau:
Mit Kirche und Theologie kann man bei denen nicht viel landen.

Liebe Gemeinde,
das ist eine Geschichte so richtig aus dem Leben
und es macht viel Spaß,
sich da hineinzuversetzen
und dem ein bisschen nachzuspinnen.
Daran hatten Menschen zu allen Zeiten schon ihre Freude,
sich zu überlegen, wie Jesus wohl als Kind so war.
Nur wenig davon hat es in die Evangelien geschafft:
Die Weihnachtsgeschichten bei Matthäus und Lukas
und diese Episode über den zwölfjährigen Jesus.

Die Menschen in der Antike waren waren nicht interessiert,
wie jemand
geworden ist, wer er ist.
Biographien haben keine Kapitel über die Kindheit.
Und wenn sie über etwas aus der Kindheit berichten,
dann nur solche Züge,
die man beim Erwachsenen auch gefunden hat.

Kaiser Augustus war schon als Kind ein geborener Politiker.

Will sagen:

Der hat sich überhaupt nicht entwickelt oder verändert,
der war immer schon so.

Das ist in unserer Geschichte bei Lukas so ähnlich.
Der erzählt ja gerade nicht davon,
dass „Jesus allein in Jerusalem“ irgendwelche spannenden Abenteuer erlebt,
sondern das Verhalten ist für einen Zwölfjährigen absolut untypisch:
Er sitzt im Tempel zwischen den Lehrern
und macht freiwillig Unterricht mit ihnen.
Er hört ihnen zu und er fragt sie.
Alle wundern sich über seinen guten Sachverstand,
aber Jesus hat ein echtes Interesse daran,
was wir Menschen denken und fühlen.

Lukas malt uns also ein Bild vor Augen
in dem er das betont,
was ihm am erwachsenen Jesus wichtig ist.

Dabei spielt er mit unseren Erwartungen
und er fordert uns heraus.

Wenn wir als Christenmenschen von Jesus reden,
kann man
–grob gesprochen–
aus zwei verschiedenen Richtungen auf ihn schauen:
„Christus von oben“
und „Christus von unten“.

„Von unten“ heißt,
wir schauen auf Christus als wahren Menschen.
Einer, der geboren wurde, aufgewachsen ist, Bedürfnisse hat,
leiden konnte und starb –
und –ach ja!– er ist auch wahrer Gott uns ist auferstanden!

„Von oben“ heißt,
wir schauen auf Christus als wahren Gott,
der zur Rechten des Vaters sitzt
und Herrschaft ausführt über die „Mächte und Gewalten“ –
und –ach ja!– 
„Das Wort wurde Fleisch und wohnte mitten unter uns“.

Die erste Perspektive, „von unten“
ist sehr beliebt bei modernen Christen.
Solchen vielleicht,
die Widerstände fürchten
bei einem klaren Bekenntnis:

Ich glaube an Jesus Christus,
der empfangen ist vom Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria…

Eine Perspektive „von oben“
ist sehr beliebt bei eher konservativen Christen.
Vielleicht finden einige es attraktiv,
den Glauben „dogmatisch“ festzumachen,
weil so viel, das selbstverständlich war, in Frage steht.

Ich glaube: Das eine funktioniert ohne das andere nicht.
Auf die Spannung kommt es gerade an.
Das Göttliche und das Menschliche sind in Jesus gerade
lebendig und dynamisch miteinander verbunden.

Als Maria und Josef Jesus finden,
sagt Maria zu ihm:

Mein Sohn, warum hast du uns das getan?
Siehe, dein Vater und ich
haben dich mit Schmerzen gesucht.

49Und er sprach zu ihnen:

Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht,
dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?

In diesem Abschnitt kommt zwei mal das Wort „Vater“ vor.
Maria redet ganz ungeschützt von Joseph als Jesus’ Vater.
Einige möchten sofort klarstellen:
- Sie meint „Adoptivvater“
- oder „Ziehvater“.
Das steht da aber nicht.

Wenn wir irgendjemandem nicht erklären müssen,
wie das war mit Jesus’ Empfängnis,
dann ist das Maria.

Doch Lukas hätte hier leicht ein anderes Wort wählen können.
Maria sagt aber:

Dein Vater und ich.

Es ist, als will uns der Evangelist herausfordern,
unser eigenes Herz zu erforschen:

Was denkst du denn, wer Jesus ist?

Das versetzt uns in Bewegung.
Wir hören das Evangelium und das macht was mit uns.
Das ist viel mehr wert,
als irgendeinen dogmatischen Satz abzuspulen.

Jesus Antwort hat eine ganz ähnliche Spannung:

Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht,
dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?

Wir fragen uns:

Meint er jetzt „Vater“ als Sohn Gottes,
oder meint er es, wie wir, wenn wir sagen:
„Vater unser im Himmel“?

Was denkst du denn, wie er das meint?

Ihr lieben,
es geht hier nicht darum zu sagen:

Wir brauchen keine Dogmatik
und alle Antworten sind
irgendwie richtig.

Doch wir sind nicht etwa auf der sicheren Seite,
wenn wir zu jeder Frage
irgendwelche vorgefertigten Lehrmeinungen abspulen können.
Glauben ist lebendige Auseinandersetzung, Bewegung und Dynamik.

„Gott ist in Jesus Mensch geworden“ – Das heißt,
dass Gott sich wirklich hineingegeben hat,
was gelebtes Leben ausmacht.
Dazu gehören auch
- Ungenauigkeiten,
- Spannungen,
- Gefühle,
- Eindrücke
- und sogar manchmal ein Irrtum.
Ein Jesus, der nur aus abstrakten Lehrweisheiten besteht,
ist genau so wenig der Heilland,
wie ein Jesus, der ein bloßer Mensch ist.

Das Leben, das Jesus gelebt hat,
war ein echtes Menschenleben.
Eines, das genau so chaotische und witzige Momente hatte,
wie dieses Bild von der Familie,
die ihren Jungen in Jerusalem oder New York vergessen hat.
So was passiert.
Das ist das wahre Leben;
genau wie unser Leben auch!

Du und ich, wir haben auch solche Geschichten,
die wir erzählen können.
Auf solches gelebtes Leben,
wie du und ich es leben,
hat Gott sich eingelassen.
Er hat es selbst gelebt,
ohne, dass er aufgehört hat, Gott zu sein.

Das Leben von uns Menschen,
– dein Leben –,
ist Gott wertvoll
und er möchte es gerne mit dir teilen.
Er möchte gern dein Bruder sein
und dass du zu seinem Vater „Vater“ sagst.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!2 Amen.

41Jesus’ Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passahfest. 42Auch als er zwölf Jahre alt war,
gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.
43Und als die Tage vorüber waren
und sie wieder nach Hause gingen,
blieb der Knabe Jesus in Jerusalem,
und seine Eltern wußten’s nicht.
44Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten,
und kamen eine Tagereise weit
und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten.
45Und da sie ihn nicht fanden,
gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.

46Und es begab sich nach drei Tagen,
da fanden sie ihn im Tempel sitzen,
mitten unter den Lehrern,
wie er ihnen zuhörte und sie fragte.

47Und alle, die ihm zuhörten,
verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.

48Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich.
Und seine Mutter sprach zu ihm:

Mein Sohn, warum hast du uns das getan?
Siehe, dein Vater und ich
haben dich mit Schmerzen gesucht.

49Und er sprach zu ihnen:

Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht,
dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?

50Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.

51Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth
und war ihnen untertan.
Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.

52Und Jesus nahm zu an Weisheit,
Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

1 1.Kor 1,3


2 Phil 4,7